überflug löbtau

(bild: google-earth, die leere flagge darf symbolisch mit fragen oder antworten gefüllt werden…)

für ein brandneues magazin der kollegen von ‚der werkstatt‘ in dresden-löbtau habe ich einen ‚überflug‘ gestartet. ich habe mich dabei an der weisseritz orientiert. meine erkenntnisse sind in folgendem text zusammengefasst. dies ist die reinversion, die marc, matti und omez in eine viel abwechslungsreichere form gebracht und durch zahlreiche eigene ermittlungen in unterschiedlichsten medien ergänzt haben haben.

es geht um authentisches stadträumliches erkunden mit dem ziel urbaner kultureller bildung.

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untertitel „gedanken zur kulturellen anatomie eines wachsenden stadtteils“

der mensch lebt bekanntlich in wahrnehmungsgebundenen raumkontinuen. wenn ich selbst an löbtau denke, weiss ich, auf welchen wegen ich mir den stadtteil aus notwendigkeit oder entdeckerfreude bislang erschlossen habe, und was dabei zum vorschein gekommen ist. wie ist das wohl bei anderen menschen?

das kritisch forschende schreiben ist dabei so eine sache: es formuliert noch keine fertigen gedanken und möchte dennoch nachvollziehbare denkanstöße liefern. ich werde im folgenden den stadtteil dresden-löbtau in einem spagat zwischen weitgehend intuitiver erkundung mit dem blick des raumforschers und angehend journalistischer sachkunde entlang der weißeritz darstellen.

ein vor–schein zum einstieg: löbtau ist ein stadtteil voller würfelhäuser und hat vorwiegend studentische einwohnerschaft. der schein trügt. löbtau hat alles an stadtkulturellem repertoire, das man sich denken kann. die würfelhäuser nennt man z.b. auch ‚dresdner kaffee-mühlen‘. bei einer heute nicht unüblichen google-suche“löbtau“ findet man auf den ersten zehn plätzen zunächst folgende einträge – stand 16.2.2011:

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Löbtau – die enzyklopädie wikipedia über löbtau
2 http://www.dresden-loebtau.de/ – die namentlich freche domain einer spielvereinigung in löbtau
3 http://www.dresdner-stadtteile.de/Sudwest/Lobtau/lobtau.html – ehrenamtliche historiker über löbtau
4 http://www.apotheke-loebtau.de/ – gesundheit! löbtau
5 http://www.dresden-und-sachsen.de/dresden/loebtau.htm – tourismusbörse über löbtau
6 http://www.dresden-lexikon.de/Lexikon/Loebtau.htm – eine stadtinterne enzyklopädie über löbtau
7 http://www.st-antonius-dresden.de/ – eine kirche in löbtau
8 http://www.loebtauer-kickers.de/ – diesmal fußball in löbtau
9 http://www.36te-mittelschule-dresden.de/ – eine mittelschule in löbtau
10 http://www.sn.schule.de/~gs35dd/ – eine grundschule in löbtau

das ist nun keinesfalls repräsentativ und deckt sich zu genau 10% mit dem von mir angestrebten allgemeinwissenden überblick über den stadtteil. deshalb habe ich ohne anspruch auf vollständigkeit weiter geforscht und mir dabei ein feld entlang der weißeritz per fahrrad erschlossen. dabei fiel mir auf, dass löbtau wie einen hammer zwei sich überschneidende sog. STRIPS als anatomische basis aufweist. strips sind seit robert venturi und denise scott-brown der begriff für ins suburbia führende straßenschneisen, entlang derer sich verschiedenste wirtschaftszweige wie auf einer kette aufreihen. das ‚rückgrat‘ von löbtau und gleich auch die teilung in nord und süd bildet die kesselsdorfer straße als quasi kommerzieller bunt gemixter strip. sie ist dies viel mehr als der andere strip, den ich im zug der löbtauer–tharandter–straße auszumachen glaube, der auch viel mehr abhängig von den örtlichen gegebenheiten zwischen verwertungsökonomien im norden und medienkulturellen clustern im süden changiert; zu nennen das kino in der fabrik (kif) und die bienert-mühle (museum hofmühle). und vor allem fliesst er mit dem fluss.

die kesselsdorfer straße hingegen weist in ihrem vorderen teil eine sehr starke konzentration ökonomischer ‚durchlauferhitzer‘ auf, bauten, die keinen architektonischen, dafür aber einen lokalökonomischen wert haben, um sich dann westwärts richtung gorbitz / naußlitz zu entfernen. an diesem umsteigebahnhof der wissens- und arbeitspendler endet auch das ’studenten-shuttle‘ der linie 61. doch schon ein paar meter weiter westlich auf der kesselsdorfer straße fehlen bauten, klaffen leerstellen, die – ein dortiges kuriosum an der ‚werbewagenecke‘ – expressiv von werbe-anhängern zugestellt werden. hier herrscht work-in-progress und kein feiner boulevard. es gibt lediglich eine unfreiweillige ‚torsituation‘, indem nämlich der autobahnhochstraßenzubringer die einfahrt zum stadtteil rahmt. das hat leider noch kein stadtplaner erkannt und für eine visuelle aufwertung gesorgt. das kraftwerk der drewag ist gleich dahinter. löbtau ist also erstmal gut angeschlossen – zumindest in sachen lebensadern.

die weißeritz z.b. ist seit der flut 2002 auch den neuen generationen dresdner bewohner bekannt. der sog. ‚weißeritz-knick‘ biegt den fluss, der längst schon kanal ist und damit seine industrielle geschichte erzählt, in richtung cotta ab, genau an dem beschriebenen löbtauer tor. der fluss hatte die gelegenheit des hochwassers genutzt um seine natürliche geschichte nocheinmal zu erzählen, denn er verlief bis vor 100 jahren entlang der heutigen löbtauer und weißeritz-strasse direkt nach nordosten. auf dem erweiterten gelände des ursprünglichen bettes befindet sich heute ein teil des ‚weißeritz-grünzuges‘. zwischen dem bahngelände an der bauhofstraße und der bienert-mühle in plauen wurde mit efre-förder-geldern (europäischer fond für regionale entwicklung) ein offener grünzug erstellt, der reste vorheriger bebauung in gabionen packt und versuche macht, freiräumliche aktionszonen zwischen baulichen investitionszonen zu definieren. eine beschilderung aus stehlen gibt fundiert auskunft über kulturell brisante orte. nicht weniges an authentischen baulichen entwicklungskernen ist dennoch dem föderprogramm zum opfer gefallen oder harrt wie das ehem. gelände des krankenhaus löbtau der vollendung, sodass man sich fragen kann, wem die aufwertungsmaßnahmen denn nützen? so hat man in dem alten krankenhaus altenheime stationieren können, was demografisch o.k. ist, doch die aktivere jugend muss sich auf einer mikrigen skater-ecke im grünzug herumdrücken. am löbtauer tor genießt man die wunderbare aussicht von hölzernen liege-sonnen-bänken auf den schon beschriebenen knoten von schlagadern des städtischen lebens.

es ist nicht wirklich ein ’stadtteil am fluss‘, dennoch behaupte ich dies provokativ. löbtau schwappt ans wasser, da wie besprochen der fluss als kanal nur noch in grosssen intervallen und dann richtig schwappt. besonders erfahrbar wird die weißeritz erst im oberen bereich ab lötauer tor, also im süden, wo die stadt sich langsam auflöst und mit der bienert-mühle der letzte bauliche ankerpunkt der stadt vor dem plauenschen grund steht. ‚die haifische‘ waren hier nicht nur in geologischer vorzeit zugegen und haben ihre zähne als fossile funde hinterlassen,  ein künstlerischer wettbewerb unter selbem namen erforscht und interveniert sukzessive an und um den fluss an der stelle, wo am deutlichsten zu spüren ist, wie die industrie und das auge des biedermeierlichen betrachters die urpsprüngliche landschaft sehend gestaltet haben. auch die immobilien-haie haben vor nicht allzu langer zeit ihre gesundeten zähne in die kulturell wertvolle mühle geschlagen, sodass diese auch heute noch nicht ganz gerettet ist. fabrikantenfrau ida bienert war kunstmäzenin und künstlerin. die gesellschaft der häuser in altplauen sei nur kurz erwähnt um zu zeigen, dass dresden die stadt der echten dorfkerne ist und damit einen besonderen schatz hat.

altlöbtau liegt auch heute nicht am fluss, besitzt in seiner stadtstruktur jedoch ebensolche dörfliche urprünge wie plauen. es bedient sich bereits modernerer bzw. gründerzeitlicher mittel um hier nicht den fluss, sondern den anger zu rahmen. so findet man eine kleine siedlung von ‚architekten-häusern‘, die leider genau keinen dorfcharakter hat und etwas zu individualistisch vermengt wirkt. (im übrigen auch auf google streetview kein schöner anblick, weil besitzer ihre häuser haben ausradieren lassen.) direkt daneben steht zum glück einer der kulturellen höhepunkte und stadtanatomischen brüche zugleich: die ev.–luth. friedenskirche. ihr turm repräsentiert noch den vorgängerbau, ihr krichenschiff jedoch ist ein viel kleinerer womöglich sogar typenbau aus der nachkriegszeit, da die kirche teilzerstört war. heute lädt man hier auch zu kulturellen veranstaltungen. noch ein höhepunkt ist in einem nahe gelegenen von neubauten und hochstrasse etwas eingeklemmten gründerzeitblock: ‚die praxis‘ und ‚die werkstatt‘ als unabhängige kulturprojekte, die meistenteils von studenten betrieben werden, neugierig auf löbtau sind und so mit der bürgerlichen sitte brechen, es sich einfach nur gemütlich zu machen. ein schaufenster-konzert zeugt davon!

verklemmt oder brüchig sind in löbtau viele stellen, vor allem im bereich der weißeritz und der genannten strips, weil hier ökonomische umschichtungen am eindrücklichsten zu bezeugen sind, weil der stadtteil einfach wachstumsrisse bekommt an seiner aussenhaut. die ‚filterzone‘ zwischen fluss und nord-süd-straße eröffnet einem einblicke in diesen prozess. doch auch in der gesellschaft der würfelhäuser im löbtauer binnenland finden sich eigenartige zeugen einer anderen zeit und anderer entwicklungen, die aus dem typischen rahmen fallen und auch wohnfremd genutzt werden. brachstellen im raster der bürgerlichen ordnung, die als freiräume kulturell anziehend sein sollten! dazu zählen auch leere läden, die unter den hier im gegensatz z.b. zu pieschen noch vorhandenen eckgeschäften potentiale eröffnen.

was ich nicht vergessen will: nicht nur sehenden auges erkenne ich in löbtau kulturelle prozesse – augen zu, ohren auf! die (straßen)bahn quietscht betörend, die weißeritz plätschert ungnädig, auch auf dem weißeritz-grünzug gibt es noch einen klappernden schrottplatz. richtig beeindruckend ist das drewag-kraftwerk an der nossener brücke, in dem das maschinen-brummen so umfassend ist, dass man sich kaum selbst verstehen kann und dennoch frequenzbedingt keine hörschäden erwarten muss. ich empfehle tage der offenen tür. die autos z.b. auf der kesselsdorfer bilden im kontrast den uns gar nicht mehr gewärtigen hintergrundteppich eines sonoren rauschens, das man sich ruhig mal wegdenken sollte!

ich habe im nachgang nochmal einen ‚überflug‘ bei google-maps unternommen und bin auch in streetview eingestiegen. wie anderswo auch existiert löbtau in dieser bilddimension bereits in drei zeitschichten: den älteren google-maps-daten, den 3 jahre alten streetview-daten und den realen ‚daten‘. (wer mehr wissen will, wendet sich an die örtlichen geschichtsvereine, die im gegensatz zur unterbesetzten leuchtturmarbeit des stadtarchivs flächendeckend arbeiten und für anregungen zu haben, vor allem aber zu nutzen sind.) man kann also in einem zeitrahmen von vielleicht 5–6 jahren löbtauer geschichte baulich virtuell nachvollziehen. da ist einiges, z.b. die löbtau-passage: sie ist auf google-maps eine brache, in streetview im bau und nun real-existierender fassadenschwindel. womit wir wieder bei venturi / scott-brown sind. das ‚decorated shed‘ (die dekorierte hütte) ist nicht nur an der löbtau–passage sehr eindrücklich zu erkennen. auch an den würfelhäusern gibt es vorblendungen, die uns etwas vom bürgertum vormachen sollen. nur, dass hinter dem bedeutungsträger fassade an der passage die autos auf dem supermarktdach gestapelt werden, während bei den bürgerhäusern sich die wohnungen stapeln. die ‚passage‘ ist, wenn man sich an leipzig oder gar mailand orientiert, ebensowenig passage wie der ‚boulevard‘ mit blick auf paris oder barcelona boulevard ist. interessant ist die aktuelle debatte im stadtrat um diesen ‚boulevard‘, der in völliger verkehrung seines baugeschichtlichen seins dann ohne autoverkehr auskommen soll – warum bezieht man nicht folgerichtig die kesselsdorfer straße als formales (sinnliches!) ganzes in die überlegungen mit ein? alles hier ist ein ‚ich-möchte-gern-etwas-sein‘, ich weiss aber noch nicht wie – das typische stadium der entwicklung bei jungen menschen im alter von ca. 20 jahren. auch streetview schwindelt, aber anders. die bindung der kamera an das automobil statt den menschen ist soziokulturell unrepräsentativ für aussagen über einen stadtbereich, der untertunnelt oder im bau ist, bzw. dessen eigentliche qualitäten wie die weißeritz nunmal nicht ‚erfahrbar‘ sind. hinzu kommen geo-tags von firmen usw., die wie schon die google-ergebnisse eingangs keinerlei repräsentative kulturelle aussage führen können, da dafür erstmal jeder im world-wide-web präsent sein müßte.

ich statiere: im gut geordneten raster der löbtauer stadterweiterung des beginnenden 20. jahrhunderts befinden sich gleich den bruchstellen an geografischen demarkationslinien wie der weißeritz und strassenmündungen auch soziale und kulturelle verwerfungen. ganz normal. und vor allem spannend! wer das herausfinden will, zumal, weil ich mich doch sehr begrenzt äussere, sollte mal von ‚der kesselsdorfer‘ richtung süden / bonhoeffer platz einbiegen und links gleich das kleine bungalow ansteuern, auf dem ‚ingrids stübchen‘ steht. oder er sollte am löbtauer tor mal in die stehbierhalle ‚drei–kaiser–hof‘ gehen. oder er macht sich mit mir und der werkstatt im frühjahr / sommer 2011 auf spaziergänge zwischen freiräumen in löbtau um mehr als das hier illustrierte zu entdecken.

eine hilfe beim entdecken sind übrigens möbel, die keiner wahrnimmt: an elektrokästen kann man nicht nur aufrufe ‚posten‘, sondern sich auch herrlich zum beobachten und aufzeichnen postieren.

summa summarum: ausbaufähig!

felix liebig © 2011

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quellen & empfehlungen:

– die liste ist fortsetzbar, gibt nur einen ausschnitt wieder; ich verweise gerne auf die erkenntnisse der kollegen im gedruckten magazin! …

– eigenes, nicht nachweisbares, nur erkundbares, allgemeinwissen über löbtau und dresden
– fundstück an der fröbelstraße, auf einem busch, metallprägeteil, rostig
– zum strip: robert venturi & denise scott-brown: learning from las vegas, MIT press, 1977
– lesenwertes feature dazu bei „dpr-bcn“
– google-suche „löbtau“ am 16.2.2011
– google-maps, google streetview: „löbtau, dresden, deutschland“ – screenshots 19.2.2011 & 20.2.2011
– seite des stadtplanungsamtes dresden zum „weißeritz-grünzug“
– dazu die „beschilderung“ im öffentlichen raum
– das efre förder-szenario beim städtischen sanierungsträger „stesad“
– kunst im öffentlichen raum der „haifische dresden“
– kino in der fabrik – „kif“
– das „museum hofmühle“ in der bienert–mühle
– encyclopaedia „wikipedia“
– die seiten der „dresdner stadtteile“ (ehrenamtliche historiker) über löbtau

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