wohnzimmerspionage #4

2. september 2011

foto: jan minack

dieses mal ging es zunächst fast ein wenig hektisch zu. hinter den kulissen kam jan plötzlich mit der idee, doch den film „altpieschen“ zu zeigen. ich fand es spannend und kurbelte ein paar räder um strom und autor bernd kilian zu bekommen. alles andere packten wir in die rucksäcke und man sieht:

zwei rucksäcke und gute manieren reichen um spontan einen film zu zeigen.

in diesem fall wie schon in wohnzimmerspionage_zwei zitiert handelt es ich um den film „altpieschen“, der 1999/2000 von bernd kilian (regie) und eckhardt reichel (kamera) im ehem. obdachlosenasyl vom damaligen stadtarchitekten hans erlwein in altpieschen 9 gedreht worden war. diesmal an der stätte seines entstehens entstand dabei eine besondere korrespondenz: die filmkulisse im alten milieu und der gezeigte film im neuen milieu des wohnhofes.

deshalb möchte ich hier noch ein wenig nachrecherchieren.

bei wikipedia „pieschen“ wird dieser satz zum ort gebracht:

Im Jahr 1912 wurde durch Stadtbaurat Hans Erlwein in Altpieschen ein für damalige Verhältnisse modernes Asyl für obdachlose Männer errichtet, welches später in ein Familienasyl umgewandelt wurde.

das reicht mir nicht. auf der stadtteilseite „die neustadt“ findet man dieses zitat zu einer veranstaltung, die den film in anwesenheit des regisseurs zeigte, sowie ein passendes foto, leider ohne jahr:

Im Rahmen der Veranstaltung stellt der Regisseur Bernd Kilian seinen Film „Altpieschen“ vor, der die Atmosphäre im Großhof Altpieschen vor dessen Sanierung einfängt.
Die Bewohner, überwiegend ältere, häufig alkoholabhängige Menschen, die von Sozialhilfe oder Rente leben, stehen im Mittelpunkt des Films: Charlotte mit ihren Katzen, die eine wichtige Informationsquelle für örtliche Neuigkeiten ist, oder Herbert, der Brennholzlieferant.
Kurz nach Fertigstellung des Films wurde das von Hans Erlwein als Obdachlosenasyl erbaute Häuserkarree umfassend saniert, was auch zu einer kompletten Umstrukturierung der Bewohnerschaft führte.

also wie weiter? und siehe da! auf einer website namens „das gefrorene meer“ findet die suchaschine unter „altpieschen“ diesen artikel von 2002, der mit einigen unterseiten (exposé, ausschnitte und interview zum film) zum weiteren stöbern einlädt. klasse! bernd kilian führt darauf wie folgt aus:

Das Projekt Altpieschen (AT) soll mit ungewöhnlichen filmischen Mitteln die Atmosphäre im Großhof Altpieschen 5 – 15 festhalten. Die Zeit scheint in diesem, von Hans Erlwein als Obdachlosenasyl erbauten Häuserkarree stehengeblieben zu sein, sowohl was die bauliche Substanz betrifft, als auch die Zusammensetzung der Bewohner. Doch dieser Schein trügt; auch hier steht die längst überfällige Sanierung an, die voraussichtlich auch zu einer Umstrukturierung der Bewohnerschaft führen wird. Vor diesem Wandel möchte ich die seit Jahrzehnten gewachsene einzigartige Struktur mit einfühlsamen und experimentellen Mitteln dokumentieren; d.h. der Film soll aus langen Stativeinstellungen bestehen, Bild und Ton werden getrennt, es soll keinen erklärenden Text geben, weder von Sprecherstimmen, noch durch Interviews. Inhalte des Films sollen sein: die architektonische Situation und die darin lebenden Menschen, die Abwesenheit jeglicher Handlung („nothing happens“), die Durchdringung von öffentlichem und nicht öffentlichem Raum.

Meine filmische Arbeit ist weniger von einem journalistischen Interesse geprägt und entspringt auch nicht einem klassischen Filmemacherwerdegang. Durch mein Studium der freien bildenden Künste sehe ich mich eher in der Tradition des Kunst- und Experimentalfilms und möchte an einen Umgang mit dem Zeitbild und dem Bewegungsbild anknüpfen, wie er beispielsweise von Michael Snow oder Chantal Ackermann betrieben wurde.

Dresden, 2001

schade, dass er keine zeit hatte. die situation an sich war klasse. ich sprach einen nachbarn an, der uns den strom rauslegte. DANK!

wir saßen dann noch eine weile und unterhielten uns über aspekte des films wie etwa den geist des ortes, der nun mit der sanierung in ein gewisses gegenteil verkehrt wurde. oder über die plätze in dresden bzw. pieschen, an denen menschen ohne herkömmliches einkommen noch wohnen, eigentlich leben können. oder über einige grundfragen des wohnens wie z.b. die wohnumgebung in der kindheit, die offenbar ja sehr prägend für jeden von uns ist. darüber kann man ein eigenes buch schreiben, denn stadterfahrung und naturerfahrung ist nunmal mit das erste, was wir nach der mutter mitbekommen.

oder: über eine siedlung in dresden-seidnitz nähe altenberger platz, in der ich bei einer bestandserfassung hunderte leerer wohnung und die unterschiedlichsten hinterlassenschaften der menschen sah und gar roch, die dor teinst lebeten, nebst der paar personen, die noch dort lebten. die fotos gibt es hier:

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andere nachbarn waren durchaus interessiert, z.b. schauten welche vom balkon oberhalb des hofes. aber das breitere interesse an einer solchen spontanaktion blieb aus, was vor dem bildungsaspekt durchaus schade ist und vorsichtigen aufschluss über die freitägliche verfügbarkeit der menschen zumindest an dieser stelle der stadt geben könnte. probleme mit bewohnern gab es aber keine. es war total ruhig und sinnig dort zu sein. als projektorpodest diente uns ein umfunktionierter ehem. brunnen, der nur leihweise dort stand und nun durch einen blumenkübel ersetzt wurde …

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