fotos: felix liebig, ostseestrand bei meschendorf–kägsdorf, mecklenburg-vorpommern, 12. oktober 2011
wenn menschen in gebückter haltung – kopf vorn über auf den boden starrend wie die beiden unbekannten – irgendwo des weges ziehen, dann hat das in den meisten fällen etwas mit kultur zu tun. dann durchsuchen die augen nämlich den boden, z.b. nach artefakten, also kulturrelevanten gegenständen wie auch wikipdedia weiß.
wie in jeder anderen landschaft – in dresden z.b. die sächsische schweiz oder bei berlin vielleicht der spreewald – bedeutet mir meine heimatliche landschaft an der ostsee ein kulturelles zuhause. es regt mich an, es inspiriert mich dort zu sein. die vertrautheit der umgebung aus jahrzehnten des lebens dort schafft dem auge und mit ihm dem kritischen geist vergnügen am unerwarteten oder in einem besonders gesuchten detail. beim ausgedehnten gang am strand hat mich vor allem das von menschen gemachte, zurückgelassene und von der natur geschliffene material interessiert. neben allem „seemannsglück“, das mensch am strand finden kann, befinden sich darunter diverse artifizielle materialien wie ziegel, ton, glas, metall, stoffe, etc.
all das ist in einem jahrtausende dauernden prozess „geschaffen“ und in mitunter noch mühevoller arbeit hergestellt worden. nun wird es vom tosenden meer in ich weiß nicht wie großen zeiträumen geschliffen, korodiert, gesprengt, zermalmt und zerbröselt, bis es in kleinsten teilen wieder einen rohstoff bildet, z.b. quarz(sand). wer hierzu genaueres sucht, der findet u.u. vor ort in der lokalen buchhändlerei die bücher von rolf reinicke und seiner frau. sie sind beispielhaft für meine auseinandersetzung mit dem thema als ich am tag zuvor nach einem präsent suchte, auf das ich durch die stranderzählungen einer freundin am tag davor gebracht worden war.
ich will allerdings me(h)er über die kulturprozesse als die bloßen artefakte wissen, die diese verkörpern.
bernstein etwa ist ja schön, aber was erzählt er nicht alles über frühere zeiten. der stein ist narrativ. dasselbe tut jedoch auch ein unscheinbarer porphyr mit fossilen abdrücken. rundgelutschte ziegel oder verrostete metallteile haben erst recht ein narrativ. der eiserne rahmen, verbogen, mit dem schloss für die tür war einmal von solchen ziegeln gefasst. nun erzählen die ziegel nicht im verband, sondern einzeln mit ihrer maserung und den löchrigen ziegelgesichtern.
in welcher weise, welchem formenreichtum kommen die geschichten hinter der (erd- oder menschen)geschichte zum vorschein?
zudem reizt mich der gedanke, dass wir uns in den „natürlichen“ umwelten unserer heimat zumeist auch sehr bald – u.u. schneller als andernorts – selbst wiederfinden. auf der kopfgesenkten suche nach artefakten oder fossilien finden wir unsere beziehung zu den dingen. in der beziehung zu den dingen, im diskutieren miteinander über die dinge finden wir dann uns. die dinge und die erinnerungen bleiben uns erhalten, werden teil des hauses oder der wohnung.
denn auch wir sind in den zeitläuften artefakte des lebens. wir werden naturgemäß gegerbt, gebrannt, verletzt und wachsen uns aus. wir treiben im leben wie im meer des daseins. der sturm und das tosen der welt um uns – z.b. hier im norden – ist die ruhe im kopf unter mütze oder kaputze und das wissen um diese einzigartige heimische welt. ein kontinuierliches vergehen und wiedererstehen, in dem wir uns dann und wann erheben, gegen den wind lehnen und mit einem gang am strand innerlich gewachsen sind.
sowohl „die poetik des raumes“ von gaston bachelard als auch „das buch der wandernden dinge“ von michael niehaus sowie „die enden der welt“ von roger willemsen können dem geneigten zeitgenossen hierzu vermitteln…