„das habe ich gebaut“

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fotos: felix liebig, abendspaziergänge in der heimatstadt am 10. & 13. oktober 2011

–vom gemeinsinn in meiner heimatstadt

wir reden heute viel über urheberrecht, über deutungs- oder meinungshoheiten und über den wahrheitsgehalt von gesagtem. was hat das mit einem abendspaziergang in meiner heimatstadt zu tun?

das titelzitat stammt von einem mann, der in diesem beschaulichen ort offenbar etwas erreicht hat. dennoch steht das, was er sagt symbolhaft für das scheitern eines echten gemeinsinns. folgende situation:

mit einer freundin entere ich eines der ersten hotels am platze. aus reiner neugier. offenbar zielgerichteter strebt kurz vor uns eine nicht unattraktive frau in freizeitkleidung ebenfalls in das hotelinnere. drinnen scheint niemand zugegen. sie fragt folglich uns, ob dies das friedrich-franz-palais sei und wo denn wohl das seminar stattfinde. wir müssen bedauern und verweisen sie an die hotelrezeption. während einigem auf und ab unsererseits findet sie jemanden, den sie auf dieselbe weise fragt. der herr anfang 60 im maritimen overall, mit ergrautem haar und passendem schnurrbart weist ihr zielgerichtet den weg, indem er sie zur tür hinaus geleitet. seine worte: „sie meinen das prinzenpalais. sind sie aus der stadt? dann wissen sie das bestimmt. nein? gut, das kann ich ihnen ganz genau sagen. ich habe es nämlich gebaut.“ die dame, die lediglich wissen wollte, wo ihr seminar sei, fragt verdutzt nach: „wo bitte ist das?“

ist das experten-laien-kommunikation oder doch ein tieferer kommunikativer komplex?

wir schauen uns nur verdutzt an und ich ahne etwas, das sich im nachhinein als richtig herausstellen wird. der mann ist der eigner des bzw. der hotels, die sich hinter den namen verbergen und seine einfachen worte haben es in sich. etwas hat sich gewendet:

in den letzten 20 jahren hat es in allen landesteilen eine wahre völkerwanderung gegeben. auch in meiner heimatstadt kann man zunächst einheimische von zugereisten nicht mehr unterscheiden. vieles hat sich in den 20 jahren getan. die stadt hat sich herausgeputzt. alles ist schick und pitoresk. gäste mögen es. hinter diesen veränderungen stehen menschen. diese menschen halten auf sich. das sei ihnen vergönnt. den zugereisten ebenso wie den einheimischen, denn sie haben etwas geschafft. aufgrund des in diesen 20 jahren vollzogenen wertewandels halten einige unter ihnen mitunter jedoch auf sich, was ihnen nicht gebührt. einfache formulierungen eröffnen hier oft den hauchfeinen unterschied zwischen jenen, die mit dem ort und seiner geschichte gewachsen sind und jenen, die mit einem autarken programm den ort für ihre zwecke nutzen. egal ob von hier oder von außerhalb.

so auch dieser herr.

natürlich hat er das prinzenpalais nicht gebaut. das waren die bauarbeiter in den 1820er jahren. geplant und geleitet hat den bau der von schinkel unterrichtete architekt carl theodor severin, der in meiner heimatstadt seine schaffenshöhepunkte verwirklichte. das weiss wikipedia. zwischenzeitlich war in dem bau eine schule und bis zur schließung gar ein schul- und jugendclub ansässig. erst 2009, im 188. jahr seines bestehens, wurde der bau von eben jenem herrn – und seinen mitarbeitern? frei nach brecht: „hatte er nicht wenigstens einen koch bei sich?“ – hübsch saniert und ist nun – man ahnt es: hotel.

aha.

in der marketingsprache heißt das schnöde: umwertung durch umwortung; ein unliebsamer sachverhalt wird über ein neues wort mit positiven eigenschaften aufgeladen. der mann unterschlägt also leichterhand 188 jahre geschichte und unzählbare menschen und deren geschichten, die diesen bau vor seiner zeit hervorgebracht und erhalten haben um sich selbst den zweifelhaften ruhm des postfeudalen eigentums anzuheften.

darf mensch das als löbliches selbstbewußtsein oder doch schon als selbstherrlichkeit verstehen?

die hier auch schon ansässig gewesenen fürsten bezahlten severin übrigens für seine schaffenshöhepunkte. im mikrokosmos der kleinstadt finden sich noch viele solche beispiele. etwa das bürgerkommunikationszentrum kornhaus e.v. dessen vereinsführung ignoriert nunmehr nach erfolgreich erfolgter sanierung, nach 20 jahren engagierter nachwendlicher kulturarbeit, nach 60 jahren schul- und jugendarbeit, nach weit mehr als 800 jahren klösterlichem und säkularem baubestand, schlichtweg alle anstrengungen unzähliger menschen vor ihnen. diese hatten wie ehedem die mönche einen ausgeprägten gemeinsinn, der den nährboden für kulturarbeit erst liefern konnte, das kulturelle gut als kooperatives gut und gemeinsamen wert versteht. die anderen hingegen werten diesen komplex um, sie sonnen sich im erfolg, den sie nicht bewirkt haben. sie sonnen sich so sehr, dass sie gar das anhaltende kreative potential einzelner offen und öffentlich ächten dürfen ohne jegliches aufbegehren. was kann ein fein saniertes haus, wenn darin kein platz mehr ist für geistige freiheit?

wie weit darf die bürokratisch-rationale assimiliation menschlichen gemeinsinns gehen?

ich habe mir sagen lassen, dass die führung des vereins in den händen eines vormaligen verwaltungsbeamten liegt. ein zugereister. ein pensionär. ein mann ohne konstruktive (lebens)aufgabe.

alles andere hier in der heimatstadt ist so wie überall anders auch. ein sammelsurium aus zeitgenössischen elementen der stadtentwicklung. zähe bauruinen gehören ebenso dazu wie aalglatte renommierimmobilien. vieles sieht falsch aus, fühlt sich falsch an, weil es nur verwaltet nicht aber gestaltet wird. was vor 20 jahren der strukturelle verfall ins angeblich graue durch nicht-verwalten war, ist nunmehr der ästhetische verfall in den bürgerlichen eigensinn durch über-verwaltung. das passiert in der kleinstadt gedrängt auf engstem (sozialisations)raum. und in dieser gedrängtheit erscheinen eitelkeiten für den ausgewanderten noch anschaulicher als sie das in großen städten sind. mensch kann hier, so er denn will, den zeitgeist fühlen, riechen, sehen, hören. das kann er übrigens auch, wenn er sich beispielhaft die bunte städtebauförderfibel „stattlich! stadtansichten aus 20 jahren“ des landes mecklenburg-vorpommern von 2010 ansieht.

ist es nicht wunderbar, wie ordentlich und farbenfroh all unsere städte wieder sind?

da sind soviele kontraste, soviele sinnesreize, dass es keine einheit mehr gibt. dieser herr hat insofern kein gutes gefühl hinterlassen. nicht im geringsten. denn ihm fehlt gemeinsinn. die eigensinnige herrlichkeit funktioniert einfach leichter als die komplizierte wahrheit. der zeitgeist (un der genius loci?) unterstützt dies. die stadt und die geschichte erst recht, werden es ihm verzeihen… doch wurden in den letzten 20 jahren womöglich bürgerliche eigensinnigkeiten mehr gefördert als so ein idealistischer kreativer gemeinsinn, den immernoch nur ein paar visionäre wahrhaft konstruktiv mit ihrer eigenen hände und köpfe arbeit fördern. gegen den schwerfälligen strom des zeitgeistes.

die poesie dieser stadt bei mondschein möchte ich dem herrn und allen ähnlich gesinnten und wirklich interessierten deshalb gern an’s herz legen: sie wirft ein ehrlicheres licht auf das gesehene und die gesehenen als bei den hübsch bestrahlten fassaden. da sieht mensch die eigensinnigen kontraste nämlich nicht, sondern die echten wesenheiten des lebens, die sich aus dem dunkel schälen. das selbstwirksame bunt zwischen den zeilen des stadtbuches tritt dann ebenso hervor wie das ewig gleiche (klein)bürgerliche neongrau hinter den fassaden. im hotel oder katen, spielt keine rolle.

dazwischen kann mensch selbst entscheiden…

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