fotos: felix liebig, auf dem kaiserkanal zwischen suzhou und wuxi, jiangsu, china, im november 2003
der kaiserkanal zwischen dem norden chinas und dem jangtsekiang ist ein phänomen.
so habe ich ihn auf der studienexkursion wahrgenommen. wir begaben uns an diesem tag auf eine fahrt voller unerwarteter eindrücke auf einem marginalen und fast völlig geraden teilstück zwischen suzhou und wuxi in der provinz jiangsu in china. dafür brauchten wir dennoch fast sechs stunden. wikipedia hat diese informationen. aus der distanz von nunmehr fast acht jahren nehme ich mir endlich zeit zu einem rückblick, die neulese der fotos, ergänzt durch einen neuerlichen „überflug“ bei google-maps.
worin besteht das phänomen?
der kanal in dem damals befahrenen bereich ist ein transportweg, der brummt, tuckert, schrillt und pfeift. so eindrücklich die bilder, so reichhaltig sind auch die klänge und gerüche auf dem kanal. das knattern und pfeifen der motoren älterer schiffsmodelle kann man sehen. mir erschien das treiben auf dem fluss wie das fahren auf einer autobahn. da wird gedrängelt, dicht aufgefahren, man kommt sich näher, touchiert sich sogar. die nachbarn hat das im gegensatz zu uns nicht im geringsten beunruhigt. was es hier nämlich nicht gibt: animositäten. der weg ist das ziel. es herrscht eine erhabene gelassenheit bei menschen, die wir ahnungslos und landesfremd als bauern, arbeiter, geringverdiener einstufen würden. sie sind in einer anderen welt zuhause. alle haben sehr ähnliche vehikel. die schiffe mögen beladen sein bis kurz vor das sinken, aber sie fahren. in 2500 jahren ausgetüftelte konstruktionen sind das. andere sind ladungslos und erheben sich wie reptilien aus dem wasser. ganze kolonnen von schiffen schließen sich zu verbänden zusammen und ziehen zu zehn oder mehr über den kanal. wenn die ladung die sicht verdeckt, dann steigt der bootsführer auf das dach und lenkt eben mit den füßen. die menschen – tatsächlich oft die bootsmänner am steuer und die frauen oder ein kollege mit fahne auf posten am bug – leben auf ihren schiffen. zwischen bug und achtern gibt es alles, was mensch so tut.
daneben findet andauernd irgendetwas am ufer statt: vom be- und entladen bis zu baumaßnahmen an stadien oder brücken. es gibt ruhige und hektische orte, auch visuell bzw. klanglich. die typologie der bauten, die physiognomie der menschen, die gestalt der boote, alles ist neu und anders und beeindruckt, hinterläßt tiefe eindrücke. die vorgänge an den depots, werften usw. sind in der vorbeifahrt kaum nachvollziehbar und bergen doch informationen, die verarbeitet werden sollen. wage bilder habe ich davon auch heute noch. bei google-maps ist es mir sogar gelungen einige strukturen in der draufschau wiederzuerkennen, so etwa den eifel-ähnlichen funkturm oder das eigenartige zickzack-gebäude an der schnittstelle des kanals mit einem anderen gewässer. auch die abendteuerliche schrägseilbrücke ist schon bei google. mehr konnte der „überflug“ aber nicht bringen, da die strukturen so vielfältig und vielleicht auch schnelllebig sind.
dazwischen ist der fluss, das wasser, der schlamm. man kann es nicht genau sagen. es ist einfach alles da. immer wieder schwimmen dinge auf dem wasser, die verloren oder ausgesetzt, entsorgt wurden. pflanzen, gegenstände, viel mehr. das wasser trägt und wird doch eigentlich ignoriert. es ist wie der asphalt der autobahn – um im bild zu bleiben. den nehmen wir auch nicht eigentlich wahr, wir wissen, dass er da ist. die wahrnehmung auf dieser trasse schwankt zwischen enge und weite. entlang scheinbar endloser schiffskolonnen wird der horizont weit. zwischen zwei booten mit ihren rauhen rostigen bordwänden entstehen hingegen angstgefühle. im abendlicht des tages und dem schlammigen bild des wassers bekommt das bild eine zusätzliche note. außerdem haben wir auf dem schiff eine art froschperspektive. wiewohl: ein bad wäre hier ebenso sinnlos wie ein spaziergang auf der a9. es ist eben ein transportweg. dieser weg ist vollbeladen.
was hat das bewirkt?
in sechs stunden sind ergo viel zeit für sinnliche vollbeladung. keine überreizung, allerdings eine grenzerfahrung. etwas wie das besteigen eines berges und die erhabenheit der aussicht und das gefühl des bezwingens. ich habe damals auf dem schiff geweint vor freude über diese eindrücke. und ich bin noch heute berührt von dem geschehen. warum kann ich schwer emotional erklären. dazu habe ich nur rationale begründungen. in der gesamtschau ergibt sich ein für mich als ganz und gar ortsfremden synästhetisches spektakel.