fotos: annette nickel (39 + titel), felix liebig (28), jan minack (5), mario hennig (13). 16. märz 2012. zusammenstellung in der folge der autoren.
diese spionage war eindrucksvoll! aber 17 eindrücke sind es nicht. eher eindrucksvolle fragen:
heißt es nun scheunenviertel, südlicher hecht oder doch bogenviertel, wie sich noch kurz vor redaktionsschluss herausstellte?
zumindest nannte hieß es ja in der ankündigung „geschichten aus dem halbrund“. halbrund und bogen: im blick von oben erschließt sich durchaus der grund für die formliebende namensgebung. gar ist von zwei weiblichen rundungen die rede, die sich da im grundriss der stadt zwischen bahntrassen und straßenzügen abzeichnen.
wir sind den antworten also auf die spur gekommen, aber wir suchen noch immer einige.
was wir gesehen haben ist erstmal wichtig und das sind die blickwinkel von annette, carola, uta, jan, mario, ronald, sebastian und meiner wenigkeit. das sind acht individuelle perspektiven. einige davon gibt es hier als neuerung nun o-tonal in worten und einige wie sonst auch, aber hier in einer gemeinsamen fotostrecke in bildern.–zensur: einige der sehr intimen und wunderschönen privaten bilder in den fotos der mitspione veröffentliche ich bewusst nicht. spionage ist grenzüberschreitend und gewisse blicke sollten im verborgenen bleiben, damit die (urbane) welt auch in zukunft ihre reize enthüllen kann.
die „vor-ab-bilder“ hatte ich eingangs vor-muliert. das kulturelle wissen auf den wohnzimmerspionagen aber entsteht zwischen akteuren und dingen vor ort und den spionen auf abwegen im bildlichen und wörtlichen dialog. den setzen wir hier im web fort. eine art fortgesetzter erzählstrang der scheunengeschichten. eine erzählerische gegenüberstellung:
carola gibt uns im direkten nachgang ihre stimmung zur einstimmung; sie musste die spionage frühzeitig verlassen, wobei es da schon um mitternacht war:
„[…] hattet Ihr noch einen schönen Spaziergangsausklang? DDR-Schrankwand und durchgeknallte Katzen hätte ich mir auch gern nochmal angesehen – war bestimmt lustig. Ich war dann aber auch froh, als ich 1.45 Uhr (doch schon) in Cotta ankam, wo es um diese Zeit auch ein bisschen unheimlich ist.
Was ich sagen wollte: hat Spaß gemacht, komme bei der nächsten Spionage bestimmt wieder mit. Hab übrigens gleich mal angefangen, ein bisschen wegen der Rudolfstr. 9 (das sanierte Haus, das nicht so recht zur Umgebung passt) zu recherchieren. Natürlich ist es ein Denkmal – die Frage ist eher, was dort in der Gegend ist nicht Denkmal? Leider ist auf Anhieb nicht mehr herauszubekommen – diese Frage kam ja gestern auf. Die Bücher und ältere Stadtpläne geben auch erstmal nicht viel her. Solche „Störungen“ sind ja Orte, wo man Vielschichtigkeiten, Ungleichzeitigkeiten und Geschichte von Stadt auch nochmal stärker beleuchten kann. Echt spannend. Und über den Bunker würd ich auch gern mal mehr wissen. Aber v.a. ging es ja um die Leute und ihre Häuser und Wohnzimmer und wie die so leben, so eine Nacht-Stadtwanderung ist echt spannend. […]“
ja! genau diese störungen und hintergründigkeiten der stadt wollen wir ausspionieren. exkurs: die stadt dresden führt im amt für denkmalschutz eine umfassende kulturdenkmalliste, die die dresdner mitglieder der wikipedia in anlehnung an den wettbewerb „wiki loves monuments“ aufgrund der nicht-herausgabe mithilfe des themenstadtplans der stadt kategorisch nachgelesen, fotografiert und in einer eigenen liste verzeichnet haben haben (hier ist noch arbeit zu tun).
das spannendste jedoch ist es wie sich die blickwinkel der beteiligten nun im nachhinein auch im virtuellen raum der recherche fortsetzen.
noch einmal carola:
„Uta hatte auch recherchiert – aber ganz anders… das hat sie zur Rudolfstr. 9 und den Bewohnern: http://www.beatebaum.de/presse.htm gefunden.“
wir hatten uns nämlich lange vor der spionage gefragt, wer denn da eigentlich wohne. sebastian hatte zwar die sanierung erlebt, aber nicht den eindruck bekommen, dass dort jemand wohne. nun, dort wohnen leute und sie wohnen sehr hübsch! quasi als „parasiten“ zwischen gründerzeit und neuer sachlichkeit. über das haus und seine zwar scheunenhafte erscheinung – ein überrest der scheunenzeit? – aber sonst sehr klassizistische aufmachung mit pilastern und pfeilervorlagen wissen wir dennoch nicht viel. frau beate baum kann vielleicht helfen? – und siehe da, sie antwortet wie folgt:
„Lieber Felix Liebig,
interessante Sache, diese Stadtteilerkundungen!
Das Haus Rudolfstraße 9 ist, so viel wir wissen, tatsächlich eines der ältesten des Viertels. Es gibt Umbaupläne von 1890, gebaut wurde es vermutlich Mitte des 19. Jahrhunderts. Es gehörte über zumindest zwei Generationen hinweg dem Pferdehändler Gäbler, der sogar mit einem Halbsatz in Erich Kästners „Als ich ein kleiner Junge war“ auftaucht. Unten wurden die Pferde gehalten, oben lebte die Familie. Das Haus ist sehr viel kleiner, als es den Anschein hat, da der gute Gäbler wohl mit seiner geschmückten, breiten Fassade zur Straße hin angeben wollte. Diese Breite beträgt über 20 Meter, die Tiefe hingegen nur gut sechs Meter. Aber, ja, es ist absolut hübsch zum Wohnen.
Viele Grüße“
da ist doch schon das meiste drin. vielen herzlichen dank!
fast nebenan, nämlich der nächstkleineren hausnummer, nur vor der kreuzung, ist der späti: er ist nicht irgendein späti, sondern ein „bio7 spätladen“. klein und vielschichtig verkracht ist dieser laden und er ist ein würdiger treffpunkt für das viertel, wo mensch zum bier auch hervorragende informationen kredenzt erhält.
das kino casablanca dürfen wir nicht vergessen. dort ratterte in der tat wieder der projektor gleich am eingang. der vorführer saß draußen und einige von unterhielten sich näher mit ihm. was da wohl rauskam?…
und noch einer: der bunker unter der kommenden „otto-terrasse“. mehr dazu in den publikationen zur „wohnumfeldverbesserung“ der stadt dresden. ein eigenes thema. man baut hier auf holkörpern vergangener zeit, deren herkunft natürlich neugierig macht. bisher weiß niemand etwas, doch die historienforscher der stadt kamen ja gerade erst auf dem geschichtsmarkt zusammen und wissen vielleicht mehr?
nun frage ich mich nach einer woche, was hängen blieb. hier hilft mir jan aus der patsche. er hat tatsächlich einen feinen text geschrieben und sogar eine filmische referenz dazu mitgeliefert (leicht neu formatiert):
1 „immerwieder gern,
auf lehrreichen pfaden.“
2 „spaziergang im scheunenviertel.
was hängen blieb.
spezifisches zu architektur, wohnen, umfeld. zusammenhänge. roter faden. soziale netze.
wo soll ich beginnen…
Ein treffen am Platz, in der stadt aus stein. Bekannte Gesichter, anderer Kontext.
Zurück in die gründerzeit. kleine nischen, in denen sich menschen eingenistet haben.
die wohnung bei nach reduziert auf den blick von außen. wo licht ist sind auch
menschen. wie insekten schwirren sie umher. auf der suche nach abenteuer, feiern, wo
man abschalten kann und neonlichter in der disco an. die dunkelheit wird vertrieben.
was wir suchen? einen ort zum verweilen. die gaststätte zum goldenen pfeil, der späti
um die ecke. das wohnzimmer eines kinos und zwischendurch schauen was die da drin in
ihrer kleinen welt so machen, wir draußen, der/die beobachter, die alles überblicken
und aufnehmen und doch geprägt von unserer eigenen Gesichte. was ist das?
der mensch der im vorbei gehen eine gruppe bemerkt, die über häuser und deren bewohner
referiert, obwohl doch da nichts besonderes dran sein kann, den alltag anderer
menschen zu kommentieren.
Und es kommen die Fragen an den Unbekannten Interpreten, Werkern, Baumeistern,
Architekten. Die die Materie formten, sodass andere darüber theoretisieren mögen.
Immer wieder stell sie sich. Warum? warum ist die strafle, das haus, die wohnung, der
mensch dort? Interpretation des Gebauten. spekulationsobjekte in denen das leben
pulsiert. was macht diese so anziehend, damals wie heute? haben sich die ansprüche oder
qualitäten geändert?
Schatten in Häusern und Durchgängen. Im vorbeigehen flüchtig erfasst. Anomalien: Ein
fehlendes Haus. Eine Lücke. Ein Fleck. Ein Tag. Ein Haufen. Ein Spruch an der Wand.
Grabeskälte. Kurze Trauer. Ein Bunker unter der Erde. Ein Muster auf der Strafle. Ein
Halbrundeszimmer. blau/rot Leuchtende Lampen. Dunkle Ecken die komisch riechen.
Pfützen, Rinnsale. Schnüffler und Spurensucher in einer lauen Frühlingsnacht.
Was bleibt sind bilder, eine verschrobene erinnerung und der vergleich mit anderen
bildern und erinnerungen. Ein Artikel in der Zeitung der die Aufmerksamkeit auf sich
zieht, weil man DORT doch noch vor kurzem davor gestanden hat.
Was bleibt sind Menschen, sind Häuser die da bleiben wo sie heimisch sind. Die Wagen,
Bahnen und Räder am Wegesrand zur Fortbewegung. Bleiben nicht für immer, genau wie die
Menschen die nur zu besuch sind. Die mitgenommen werden. In ihren Kosmos. Nach Hause.“
das finde ich so treffend und kann – darf – eigentlich nichts mehr hinzufügen. nur:
jan spricht hier eigentlich alles aus. er spricht wie carola von anomalien auf sozialen und baulichen ebenen. brüche machen lebendig. die frage ist nicht, ob es sie geben sollte, sondern wie wir damit umgehen? der gebrauch und das bild der stadt, in der wir leben, mit witz und neugier gewürzt, macht uns zu echten (stadt)gestaltern, oder?
ps: zu sagen bleibt nur, dass der (hirsch)film über besagten „goldenen pfeil“ existiert und dort in der gaststätte erworben werden kann. wir durften ihn uns in der kneipe ansehen und die freuden mit den anderen gästen teilen. VIELEN DANK AN DEN WIRT! ein zweiter teil ist seit geraumer zeit in arbeit. der selbsternannte MALER – GRAFIKER – IMPRESSARIO holger john läuft nicht nur in dem film, sondern auch im wahren leben öfter mal durch das bild und schmeißt schon mal eine fete im „pfeil“. er hat sein atelier nebenan im drewaggelände.
zu guter letzt kommt hier am tag 18 nach der spionage der beitrag von sebastian mit einigen nahblicken des gastgebers.
das halbrunde zimmer, wohnzimmerspionage 9, eine nachlese (mit fotos)
pps: annette und mario illustrieren mit ihren fotos das gesagte ebenso trefflich atmosphärisch. und vielleicht kommt ja doch noch ein text dazu, zum casablanca?
ppps: eine katze haben wir im halbdunkel auch getroffen, eine ganz junge noch, und die war grau!
ich gebe zu meine bilder fehlen, aber das material ist aussagekräftig genug. Vielleicht schieb ich zwischen fleppen machen, monetenscheffeln und ostseeauswertung auch noch was zu dem besuch in meinem kiez und lebenswohnräumen nach.