Text: Felix Liebig & Jan Minack
Bild: Felix Liebig, 6. Oktober 2012
7. Oktober 2012
Die internationale interdisziplinäre Konferenz „Make_Shift, the expanded field of critical spatial practice“ fand am 6. Oktober 2012 an der TU Berlin im Institut für Architektur auf der Straße des 17. Juni 152 statt. Zu den Einzelheiten des Projektes, Kooperationen und Teilnehmern steht auf den Seiten der Veranstalter KW Institut for Contemporary Art, Urban Drift Projects, IBA Berlin 2020 und TU Berlin, Fakultät Architektur mehr zu lesen (diese werden hier nicht weiter behandelt).
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Make_Shift ist das Improvisieren. Ein make-shift shelter im Englischen ist auf Deutsch eine Behelfsunterkunft. Die Konferenz fand in englischer Sprache statt; Kritik vorweg: Der Zeitrahmen war zwischen 11 und 19 Uhr eng gesteckt. Auch in dieser Konferenz glänzten einige aus der vielleicht zu umfangreich besetzten Rednerliste mit unpräzisen und gedehnten Vorträgen. Eine Vortragsredaktion bzw. -kuration ist scheinbar mehr als schwierig. Die Diskursmehthode der Konferenz aus drei Rednerblöcken (Panels) mit jeweils abschließender Diskussion, die allerdings zwischen den eingeladenen Rednern und ebenfalls eingeladenen Antwortern (Respondants) stattfand, ließ für das wirklich zahlreiche rund 100-köpfige Publikum zu wünschen übrig. Beim Mittagsessen gab es wider die Agenda der meisten Teilnehmer Klassentrennung zwischen Brezel mit Getränk für die Teilnehmer unten und Teigtaschen, Suppe und Wein für die geladenen Gäste oben. Schließlich kam der Saal lange nach der Uhr und bereits im Abschied von der Konferenz auf das entscheidende Thema: Was machen wir am Montag für die Arbeit am Besseren? Sind die politischen und ökonomischen Instanzen der Zeit noch tragfähig für eine selbstwirksame Gesellschaft?
Selbstermächtigung ist Trumpf; auch der intellektuelle akademische Diskurs hat noch immer nicht das Tor zur Straße und zum „wahren Leben“ geöffnet. Die Geladenen verkrümelten sich nachher in ein Restaurant und die Besucher taten das ihre an anderer Stelle. Es wird Zeit!
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Das klingt vernichtend, aber die Konferenz war trotzdem eine Fundgrube! Deshalb hier eine Kritik der kritischen Raumproduktion. Imposant und relevant waren für mich drei der insgesamt 13 Vorträge in den drei Panels. Allesamt kommen von englischen Muttersprachlern, die nicht nur ihre Sprache, sondern auch den rhetorischen Klarsprech und die argumentative Prägnanz beherrschen:
Prof. Jeremy Till vertrat die Kernidee einer „spatial agency“, d.h. einer raumbezogenen Anwaltschaft der Akteure, in der die soziale Konstitution / Produktion von Raum das Leitbild und das sozialräumliche Urteilsvermögen, geteiltes Wissen und kritische Aufmerksamkeit die Werkzeuge sind. Unter selbigem Titel ist ein Buch erschienen, das noch zu wenige gelesen haben und die Website gibt Auskunft über Akteure. Till gibt damit einen klaren Hinweis auf die zeitgenössische Politik des Raumes fernab von Stadträten und Mediendiskussion.
Inderpaul Johar von von 00:/ formulierte eindrucksvoll stimmlich moduliert unter dem Titel „back to architecture“ die wichtige und noch im Einzelfall zu prüfende These: „Wir müssen uns unsere Hände schmutzig machen.“ Nicht nur Wissen, sondern auch Architektur können und müssen seiner Meinung nach von allen geteilte Produkte außerhalb des technokratischen Formlismus sein („open source“). Das Beispiel des „Wiki-House“ zeigt dies.
Francesca Tonkiss schließlich gab mit ihrer Expertise zu verstehen, dass die–neoliberal motivierte–“permanente Krise des Wohnungsbaus“ (Peter Markuse) und der „privatisierte Keynesianismus“ (C. Crouch) neue Instrumente im Umgang mit kommunaler und staatlicher Landvergabe und den geschärften Blick auf ein „Soziales Kapital“ verlangen, vermeindliche Sparzwänge kiritsch zu hinterfragen sind. Mit einem „kommunalen Liegenschaftsfonds“ solle „langsameres Geld“ und „mehr Engagement“ für die Projektentwicklung im Sinne des Nutzers erreicht werden. Allerdings hindert uns hier die Sprachhürde oder auch der „weichere Kapitalismus“ in Deutschland am besseren Verständnis, denn der Liegenschaftsfonds Berlin und dessen Wirken wurden in derselben Konferenz nicht minder kritisch hinterfragt.
/////// Im weiteren Kreis dieser von mir so empfundenen Keynotes staffelten sich keine ganz neuen Inhalte:
Die Initiative „Stadt Neudenken e.V.“ aus Berlin war nicht im Panel, wohl aber im redeaktiven Publikum vertreten und reagiert genau auf diesen Liegenschaftsfonds. Die Frage wie man denn in verkrustete politische Stadtentwicklungsdiskurse konstruktiv eingreifen könne („die Demokratie neuaufstellen“) hing als Wolke über der Diskussion. Mit Blick auf die sog. „IBA alt“ von 1984 und die avisierte Neuauflage IBA 2020 mit D.I.Y.-Elementen (do it yourself = mach es selbst) regnet es da nicht unbedingt neue Instrumente. Klar war trotz Wolkenverhang an diesem Tag, dass es um eine „soziale Stadt“, soziales Kapital, soziale Raumproduktion, sozialen Wert, soziale Wirtschaft, eben einen gerade gut nutzbaren Begriff für eine schwer zu vollziehende Veränderung geht. Nur: Was ist Sozial?
Alle Beteiligten waren Architekten, Stadtplaner, Geisteswissenschafter, einige Künstler, die aus einem akademischen Kontext das Problem diskutierten. Keiner war im Sinne der „dreckigen Hände“ Indy Johars von der Straße. Die Ausschließlichkeit dieses Zirkels und seiner Formalien steht dem durchaus guten Ansinnen folglich im Weg. Mit dem Architekturhistoriker Wouter Vanstiphout und der Autorin Hannah Arendt gesprochen („Die Banalität des Guten“, durch Vanstiphout abgleitet von der „Banalität des Bösen“ bei Arendt) müssen wir uns entscheiden wohin wir mit unserer Motivation für das Bessere wollen. Dabei scheint es auf einen mentalen Status Quo der Improvisation anzukommen, eben nicht in das Formale, das Abgrenzende, schlimmstenfalls das Totalitäre zu verfallen. Haben wir denn angesichts heutiger politischer Verhältnisse eine andere Wahl? Haben wir eine tatsächliche Offenheit für Kritische Praxis? Warum fällt es uns denn so schwer, etwas wirklich zu verändern?
Die Diskussion des ersten Panels gab zu bedenken, dass das „globale Gehirn“ des Web 2.0 nicht unbedingt vereinbar sein könnte mit dem durchaus geäußerten Wunsch „Marx neu zu schreiben“. Die Frage lautet vielmehr: Wie können wir die omnipräsente soziale Ungleichheit, die uns sogar im kritischen Handeln beschränkt, überwinden? Nach der sog. „Wiedergeburt der Geschichte“ (Nach dem Buch „The Rebirth of History–Times of Riots and Uprisings“ von Alain Badiou) im „arabischen Frühling“ oder der „Occupy-Bewegung“ wurde im Panel eben nicht von Bildung als einem Hauptproblem samt der damit verbundenen notwendigen Resourcen gesprochen. Leider.
Natürlich können wir als Schnittstellenakteure in einer wachsenden Förderlandschaft auf Mittelacquise gehen um Menschen den Zugang zu Wissen und Mitwirkung zu ermöglichen. Damit können wir punktuell gemeinnützige Ressourcen im Sinne der „Allmende“ (heute „Commons“) generieren. Bei Make_Shift war allerdings kein Raum für die Auseinandersetzung über konkrete Beispiele zur Umsetzung einer bildungsorientierten Raumproduktion, einer „Raum_Bildung“ bzw. „Nutzergenerierten Architektur“ wie sie der Kultur!ngenieur seit längerem diskutiert. Auch konnten nicht die Probleme diskutiert werden, die viele der anwesenden Akteure im Umgang mit Ämtern, Politikern, Medien und offensichtlichen Hemmnissen in der Weltanschauung nicht mehr (?) haben. Das Bauen und die Stadt dürfen eben nicht zur Hülse eines Spekulationsmarktes werden, in dem sich die Menschen räumlich weder identifizieren noch ökonomisch verankern können. Vielmehr sollten sie selbst zur Raumproduktion in der Lage sein und müssen dazu freilich ausgebildet werden–von Anfang an. Die aktuelle, von Marcus Clausen („Prinzessinnengärten„) kurz eingeflochtene, Debatte um das Bildungsniveau in Berlin bestätigt dies.
Noch weniger scheint hier der sich subtil ausbreitende und in Berlin schon genannte Begriff der „Stadtrendite“ angebracht (eine unabhängige Erläuterung blieb das Web leider schuldig). Wir müssen sicher nicht das alte Indianersprichwort vom letzten Baum und dem nicht essbaren Geld zitieren. Wir sind keine Shareholder und auch kein Spekulationskapital des Unternehmens Stadt, wie es viele heutzutage in Ermangelung sozialer Perspektiven und der Übermacht der Zahlenökonomie nachreden. Die „Sellout City“ der Jetztzeit darf nicht das Ziel sein, auch nicht „the rise of the creative class“ (Richard Florida) wie sie nicht nur in Dresden, sondern auch am Tempelhofer Flughafen mit Büros weit über dem Wert einer von Kreativen Kulturproduzenten bezahlbaren Miete beködert werden soll. Auf dem Flughafen scheint nach Tonkiss eine Dreiklassengesellschaft auf „klassischem“ Immobilienmanagement im Flughafengebäude, einer „offenen Bühne“ für Messen und Firmenempfänge auf dem Flughafenvorfeld und der „tolerierten Menge“ auf dem Flugfeld sich zu entwickeln. Wer als geneigter Betrachter das Kraftwerk Mitte und den weiteren Kreis der Entwicklungen bis zum Ostragehege in Dresden ansieht, erkennt hier womöglich Parallelen.
/////// Können wir nicht anders als in Klassen denken?
Langsam wird es langweilig und unkreativ. Ob wir nun sowieso in der Krise leben oder der Kapitalismus stets neue Krisen produziert, ob wir von Oben herab oder von Unten herauf Stadtentwicklung betreiben–das ist Schall und Rauch: Unsere Motivation sollte in den direkten Austausch zwischen Nutzern und Besitzern münden und keinen Halt vor Planern, Politikern oder Medien machen, diese aber stets kritisch zu bewerten und auch einzubeziehen wissen. Ja, ich stelle hier die gängie Denkweise bewusst auf den Kopf. Der Grund: Die „Solidarökonomie“ á la Prinzessinnengärten oder Startnext (Crowdsourcing & Crowdfunding) ist sicher ein Anfang, wenn auch nicht immer das probate Mittel. Eine Volksabstimmung wie es sie im schweizer in Zürich am Beispiel des genossenschaftlichen Wohnungsbaus gibt, ist für Berliner oder Dresdner Verhältnisse noch in weiter Ferne. In Zürich entschieden die Bürger, dass bis 2050 die Stadt und die Genossenschaften 33 % genossenschaftlichen Wohnungsbau in der Stadt zu entwickeln hätten. Zürich ist damit bereits gut ausgestattet, Dresden sicher auch. In Dresden gibt es jedoch keinen kommunalen Zugriff mehr auf die Wohnungsbestände und auch nicht sichtbar ein genossenschaftliches (geteiltes) Baurecht, womit dieser Stadt symbolisch konstatiert werden muss: AUSVERKAUFT!
Vielleicht müssen wir den archimedischen Punkt wirklich mal in Cottbus ansetzen und von Berlin aus Dresdens Entwicklungslethargie aushebeln…