überflug löbtau

(bild: google-earth, die leere flagge darf symbolisch mit fragen oder antworten gefüllt werden…)

für ein brandneues magazin der kollegen von ‚der werkstatt‘ in dresden-löbtau habe ich einen ‚überflug‘ gestartet. ich habe mich dabei an der weisseritz orientiert. meine erkenntnisse sind in folgendem text zusammengefasst. dies ist die reinversion, die marc, matti und omez in eine viel abwechslungsreichere form gebracht und durch zahlreiche eigene ermittlungen in unterschiedlichsten medien ergänzt haben haben.

es geht um authentisches stadträumliches erkunden mit dem ziel urbaner kultureller bildung.

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untertitel „gedanken zur kulturellen anatomie eines wachsenden stadtteils“

der mensch lebt bekanntlich in wahrnehmungsgebundenen raumkontinuen. wenn ich selbst an löbtau denke, weiss ich, auf welchen wegen ich mir den stadtteil aus notwendigkeit oder entdeckerfreude bislang erschlossen habe, und was dabei zum vorschein gekommen ist. wie ist das wohl bei anderen menschen?

das kritisch forschende schreiben ist dabei so eine sache: es formuliert noch keine fertigen gedanken und möchte dennoch nachvollziehbare denkanstöße liefern. ich werde im folgenden den stadtteil dresden-löbtau in einem spagat zwischen weitgehend intuitiver erkundung mit dem blick des raumforschers und angehend journalistischer sachkunde entlang der weißeritz darstellen.

ein vor–schein zum einstieg: löbtau ist ein stadtteil voller würfelhäuser und hat vorwiegend studentische einwohnerschaft. der schein trügt. löbtau hat alles an stadtkulturellem repertoire, das man sich denken kann. die würfelhäuser nennt man z.b. auch ‚dresdner kaffee-mühlen‘. bei einer heute nicht unüblichen google-suche“löbtau“ findet man auf den ersten zehn plätzen zunächst folgende einträge – stand 16.2.2011:

1 http://de.wikipedia.org/wiki/Löbtau – die enzyklopädie wikipedia über löbtau
2 http://www.dresden-loebtau.de/ – die namentlich freche domain einer spielvereinigung in löbtau
3 http://www.dresdner-stadtteile.de/Sudwest/Lobtau/lobtau.html – ehrenamtliche historiker über löbtau
4 http://www.apotheke-loebtau.de/ – gesundheit! löbtau
5 http://www.dresden-und-sachsen.de/dresden/loebtau.htm – tourismusbörse über löbtau
6 http://www.dresden-lexikon.de/Lexikon/Loebtau.htm – eine stadtinterne enzyklopädie über löbtau
7 http://www.st-antonius-dresden.de/ – eine kirche in löbtau
8 http://www.loebtauer-kickers.de/ – diesmal fußball in löbtau
9 http://www.36te-mittelschule-dresden.de/ – eine mittelschule in löbtau
10 http://www.sn.schule.de/~gs35dd/ – eine grundschule in löbtau

das ist nun keinesfalls repräsentativ und deckt sich zu genau 10% mit dem von mir angestrebten allgemeinwissenden überblick über den stadtteil. deshalb habe ich ohne anspruch auf vollständigkeit weiter geforscht und mir dabei ein feld entlang der weißeritz per fahrrad erschlossen. dabei fiel mir auf, dass löbtau wie einen hammer zwei sich überschneidende sog. STRIPS als anatomische basis aufweist. strips sind seit robert venturi und denise scott-brown der begriff für ins suburbia führende straßenschneisen, entlang derer sich verschiedenste wirtschaftszweige wie auf einer kette aufreihen. das ‚rückgrat‘ von löbtau und gleich auch die teilung in nord und süd bildet die kesselsdorfer straße als quasi kommerzieller bunt gemixter strip. sie ist dies viel mehr als der andere strip, den ich im zug der löbtauer–tharandter–straße auszumachen glaube, der auch viel mehr abhängig von den örtlichen gegebenheiten zwischen verwertungsökonomien im norden und medienkulturellen clustern im süden changiert; zu nennen das kino in der fabrik (kif) und die bienert-mühle (museum hofmühle). und vor allem fliesst er mit dem fluss.

die kesselsdorfer straße hingegen weist in ihrem vorderen teil eine sehr starke konzentration ökonomischer ‚durchlauferhitzer‘ auf, bauten, die keinen architektonischen, dafür aber einen lokalökonomischen wert haben, um sich dann westwärts richtung gorbitz / naußlitz zu entfernen. an diesem umsteigebahnhof der wissens- und arbeitspendler endet auch das ’studenten-shuttle‘ der linie 61. doch schon ein paar meter weiter westlich auf der kesselsdorfer straße fehlen bauten, klaffen leerstellen, die – ein dortiges kuriosum an der ‚werbewagenecke‘ – expressiv von werbe-anhängern zugestellt werden. hier herrscht work-in-progress und kein feiner boulevard. es gibt lediglich eine unfreiweillige ‚torsituation‘, indem nämlich der autobahnhochstraßenzubringer die einfahrt zum stadtteil rahmt. das hat leider noch kein stadtplaner erkannt und für eine visuelle aufwertung gesorgt. das kraftwerk der drewag ist gleich dahinter. löbtau ist also erstmal gut angeschlossen – zumindest in sachen lebensadern.

die weißeritz z.b. ist seit der flut 2002 auch den neuen generationen dresdner bewohner bekannt. der sog. ‚weißeritz-knick‘ biegt den fluss, der längst schon kanal ist und damit seine industrielle geschichte erzählt, in richtung cotta ab, genau an dem beschriebenen löbtauer tor. der fluss hatte die gelegenheit des hochwassers genutzt um seine natürliche geschichte nocheinmal zu erzählen, denn er verlief bis vor 100 jahren entlang der heutigen löbtauer und weißeritz-strasse direkt nach nordosten. auf dem erweiterten gelände des ursprünglichen bettes befindet sich heute ein teil des ‚weißeritz-grünzuges‘. zwischen dem bahngelände an der bauhofstraße und der bienert-mühle in plauen wurde mit efre-förder-geldern (europäischer fond für regionale entwicklung) ein offener grünzug erstellt, der reste vorheriger bebauung in gabionen packt und versuche macht, freiräumliche aktionszonen zwischen baulichen investitionszonen zu definieren. eine beschilderung aus stehlen gibt fundiert auskunft über kulturell brisante orte. nicht weniges an authentischen baulichen entwicklungskernen ist dennoch dem föderprogramm zum opfer gefallen oder harrt wie das ehem. gelände des krankenhaus löbtau der vollendung, sodass man sich fragen kann, wem die aufwertungsmaßnahmen denn nützen? so hat man in dem alten krankenhaus altenheime stationieren können, was demografisch o.k. ist, doch die aktivere jugend muss sich auf einer mikrigen skater-ecke im grünzug herumdrücken. am löbtauer tor genießt man die wunderbare aussicht von hölzernen liege-sonnen-bänken auf den schon beschriebenen knoten von schlagadern des städtischen lebens.

es ist nicht wirklich ein ’stadtteil am fluss‘, dennoch behaupte ich dies provokativ. löbtau schwappt ans wasser, da wie besprochen der fluss als kanal nur noch in grosssen intervallen und dann richtig schwappt. besonders erfahrbar wird die weißeritz erst im oberen bereich ab lötauer tor, also im süden, wo die stadt sich langsam auflöst und mit der bienert-mühle der letzte bauliche ankerpunkt der stadt vor dem plauenschen grund steht. ‚die haifische‘ waren hier nicht nur in geologischer vorzeit zugegen und haben ihre zähne als fossile funde hinterlassen,  ein künstlerischer wettbewerb unter selbem namen erforscht und interveniert sukzessive an und um den fluss an der stelle, wo am deutlichsten zu spüren ist, wie die industrie und das auge des biedermeierlichen betrachters die urpsprüngliche landschaft sehend gestaltet haben. auch die immobilien-haie haben vor nicht allzu langer zeit ihre gesundeten zähne in die kulturell wertvolle mühle geschlagen, sodass diese auch heute noch nicht ganz gerettet ist. fabrikantenfrau ida bienert war kunstmäzenin und künstlerin. die gesellschaft der häuser in altplauen sei nur kurz erwähnt um zu zeigen, dass dresden die stadt der echten dorfkerne ist und damit einen besonderen schatz hat.

altlöbtau liegt auch heute nicht am fluss, besitzt in seiner stadtstruktur jedoch ebensolche dörfliche urprünge wie plauen. es bedient sich bereits modernerer bzw. gründerzeitlicher mittel um hier nicht den fluss, sondern den anger zu rahmen. so findet man eine kleine siedlung von ‚architekten-häusern‘, die leider genau keinen dorfcharakter hat und etwas zu individualistisch vermengt wirkt. (im übrigen auch auf google streetview kein schöner anblick, weil besitzer ihre häuser haben ausradieren lassen.) direkt daneben steht zum glück einer der kulturellen höhepunkte und stadtanatomischen brüche zugleich: die ev.–luth. friedenskirche. ihr turm repräsentiert noch den vorgängerbau, ihr krichenschiff jedoch ist ein viel kleinerer womöglich sogar typenbau aus der nachkriegszeit, da die kirche teilzerstört war. heute lädt man hier auch zu kulturellen veranstaltungen. noch ein höhepunkt ist in einem nahe gelegenen von neubauten und hochstrasse etwas eingeklemmten gründerzeitblock: ‚die praxis‘ und ‚die werkstatt‘ als unabhängige kulturprojekte, die meistenteils von studenten betrieben werden, neugierig auf löbtau sind und so mit der bürgerlichen sitte brechen, es sich einfach nur gemütlich zu machen. ein schaufenster-konzert zeugt davon!

verklemmt oder brüchig sind in löbtau viele stellen, vor allem im bereich der weißeritz und der genannten strips, weil hier ökonomische umschichtungen am eindrücklichsten zu bezeugen sind, weil der stadtteil einfach wachstumsrisse bekommt an seiner aussenhaut. die ‚filterzone‘ zwischen fluss und nord-süd-straße eröffnet einem einblicke in diesen prozess. doch auch in der gesellschaft der würfelhäuser im löbtauer binnenland finden sich eigenartige zeugen einer anderen zeit und anderer entwicklungen, die aus dem typischen rahmen fallen und auch wohnfremd genutzt werden. brachstellen im raster der bürgerlichen ordnung, die als freiräume kulturell anziehend sein sollten! dazu zählen auch leere läden, die unter den hier im gegensatz z.b. zu pieschen noch vorhandenen eckgeschäften potentiale eröffnen.

was ich nicht vergessen will: nicht nur sehenden auges erkenne ich in löbtau kulturelle prozesse – augen zu, ohren auf! die (straßen)bahn quietscht betörend, die weißeritz plätschert ungnädig, auch auf dem weißeritz-grünzug gibt es noch einen klappernden schrottplatz. richtig beeindruckend ist das drewag-kraftwerk an der nossener brücke, in dem das maschinen-brummen so umfassend ist, dass man sich kaum selbst verstehen kann und dennoch frequenzbedingt keine hörschäden erwarten muss. ich empfehle tage der offenen tür. die autos z.b. auf der kesselsdorfer bilden im kontrast den uns gar nicht mehr gewärtigen hintergrundteppich eines sonoren rauschens, das man sich ruhig mal wegdenken sollte!

ich habe im nachgang nochmal einen ‚überflug‘ bei google-maps unternommen und bin auch in streetview eingestiegen. wie anderswo auch existiert löbtau in dieser bilddimension bereits in drei zeitschichten: den älteren google-maps-daten, den 3 jahre alten streetview-daten und den realen ‚daten‘. (wer mehr wissen will, wendet sich an die örtlichen geschichtsvereine, die im gegensatz zur unterbesetzten leuchtturmarbeit des stadtarchivs flächendeckend arbeiten und für anregungen zu haben, vor allem aber zu nutzen sind.) man kann also in einem zeitrahmen von vielleicht 5–6 jahren löbtauer geschichte baulich virtuell nachvollziehen. da ist einiges, z.b. die löbtau-passage: sie ist auf google-maps eine brache, in streetview im bau und nun real-existierender fassadenschwindel. womit wir wieder bei venturi / scott-brown sind. das ‚decorated shed‘ (die dekorierte hütte) ist nicht nur an der löbtau–passage sehr eindrücklich zu erkennen. auch an den würfelhäusern gibt es vorblendungen, die uns etwas vom bürgertum vormachen sollen. nur, dass hinter dem bedeutungsträger fassade an der passage die autos auf dem supermarktdach gestapelt werden, während bei den bürgerhäusern sich die wohnungen stapeln. die ‚passage‘ ist, wenn man sich an leipzig oder gar mailand orientiert, ebensowenig passage wie der ‚boulevard‘ mit blick auf paris oder barcelona boulevard ist. interessant ist die aktuelle debatte im stadtrat um diesen ‚boulevard‘, der in völliger verkehrung seines baugeschichtlichen seins dann ohne autoverkehr auskommen soll – warum bezieht man nicht folgerichtig die kesselsdorfer straße als formales (sinnliches!) ganzes in die überlegungen mit ein? alles hier ist ein ‚ich-möchte-gern-etwas-sein‘, ich weiss aber noch nicht wie – das typische stadium der entwicklung bei jungen menschen im alter von ca. 20 jahren. auch streetview schwindelt, aber anders. die bindung der kamera an das automobil statt den menschen ist soziokulturell unrepräsentativ für aussagen über einen stadtbereich, der untertunnelt oder im bau ist, bzw. dessen eigentliche qualitäten wie die weißeritz nunmal nicht ‚erfahrbar‘ sind. hinzu kommen geo-tags von firmen usw., die wie schon die google-ergebnisse eingangs keinerlei repräsentative kulturelle aussage führen können, da dafür erstmal jeder im world-wide-web präsent sein müßte.

ich statiere: im gut geordneten raster der löbtauer stadterweiterung des beginnenden 20. jahrhunderts befinden sich gleich den bruchstellen an geografischen demarkationslinien wie der weißeritz und strassenmündungen auch soziale und kulturelle verwerfungen. ganz normal. und vor allem spannend! wer das herausfinden will, zumal, weil ich mich doch sehr begrenzt äussere, sollte mal von ‚der kesselsdorfer‘ richtung süden / bonhoeffer platz einbiegen und links gleich das kleine bungalow ansteuern, auf dem ‚ingrids stübchen‘ steht. oder er sollte am löbtauer tor mal in die stehbierhalle ‚drei–kaiser–hof‘ gehen. oder er macht sich mit mir und der werkstatt im frühjahr / sommer 2011 auf spaziergänge zwischen freiräumen in löbtau um mehr als das hier illustrierte zu entdecken.

eine hilfe beim entdecken sind übrigens möbel, die keiner wahrnimmt: an elektrokästen kann man nicht nur aufrufe ‚posten‘, sondern sich auch herrlich zum beobachten und aufzeichnen postieren.

summa summarum: ausbaufähig!

felix liebig © 2011

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quellen & empfehlungen:

– die liste ist fortsetzbar, gibt nur einen ausschnitt wieder; ich verweise gerne auf die erkenntnisse der kollegen im gedruckten magazin! …

– eigenes, nicht nachweisbares, nur erkundbares, allgemeinwissen über löbtau und dresden
– fundstück an der fröbelstraße, auf einem busch, metallprägeteil, rostig
– zum strip: robert venturi & denise scott-brown: learning from las vegas, MIT press, 1977
– lesenwertes feature dazu bei „dpr-bcn“
– google-suche „löbtau“ am 16.2.2011
– google-maps, google streetview: „löbtau, dresden, deutschland“ – screenshots 19.2.2011 & 20.2.2011
– seite des stadtplanungsamtes dresden zum „weißeritz-grünzug“
– dazu die „beschilderung“ im öffentlichen raum
– das efre förder-szenario beim städtischen sanierungsträger „stesad“
– kunst im öffentlichen raum der „haifische dresden“
– kino in der fabrik – „kif“
– das „museum hofmühle“ in der bienert–mühle
– encyclopaedia „wikipedia“
– die seiten der „dresdner stadtteile“ (ehrenamtliche historiker) über löbtau

schwarzmarkt-report

oder: wenn die fassaden und visagen von identität träumen

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slideshow: eigene aufzeichnungen vom diskurs vor ort

nachdem hannah hurtzig schon 2010 mit dem ‚schwarzmarkt für nützlichess wissen und nichtwissen‘ in dresden zu gast war, folgt nun das ‚das atelier des schwarzmarktes 02 ”jenseits der fassaden und visagen“‚ am 4. februar 2011 im kleinen haus des staatsschauspiels dresden. BITTE DIESEN VERLINKTEN ARTIKEL ZUNÄCHST LESEN!

ein schwarzmarkt bildet die vorlage für den ’schwarzmarkt für nützliches wissen und nichtwissen‘ der  künstlerin hannah hurtzig, der konzeptioneller teil der sog. ‚mobilen akademie‘ ist. eine schattenwirtschaft changiert bekanntlich zwischen lokalen und globalen interessen. neben der tatsache, dass schon beim warten am eingang des kleinen hauses offenbar viele leute vergebens versuchten die veranstaltung zu besuchen, beschäftigte mich die vorstellung, was mich da wohl erwarten würde, da ich zum letztjährigen schwarzmarkt nicht zugegen war. wiewohl, der begriff der ‚identität‘ war seit 2009 ein sehr präsentes schlagwort in meiner arbeit.

wie würde dies hier behandelt werden?

das gefühl auf den markt zu gehen kenne ich mittlerweile ganz gut – der wochenmarkt am hygienemuseum ist zwar kein schwarzer, doch versorgt er einen gut, vor allem mit immernoch vergleichsweise authentischen (echten) lebensmitteln von ebensolchen produzenten. gefeilscht wird hier nur selten, dafür können auch die vehementesten ignoranten nicht verhindern, dass doch irgendwie globales gemüse auf die auslagen rutscht. solches in bezug auf wissen vom ‚atelier des schwarzmarktes‘ zu erwarten fiel mir beim gang zur veranstaltung noch nicht ein. heute finde ich es bedenkenswert.

im mittleren saal des kleinen hauses angekommen, blieb ich zunächst an schwarzen wänden hängen. sodann an zahlreichen menschen dazwischen, die sich offenbar schon um ebenso schwarze tische gruppiert hatten. aber wo war der markt, das atelier? beim schlendern um die versuchsanordnung ging mir auf: der raum war von den schwarzen wänden in drei kompartimente geteilt worden und an den tischen befand sich je ein ‚experte‘, der vermutlich sein wissensangebot feil zu bieten hatte, plus je eine schar von nachfragenden. ob diese ’nichtwissende‘ oder ‚experten in spe‘ sein würden, bzw. wie hannah hurtzig sich das gedacht hatte, sollte sich im verlauf zeigen. von einem markt konnte zunächst aufgrund des fehlens vertrauter assoziationen nicht die rede sein. anekdote: beim rundgang hielt mich hannah hurtzig für den tontechniker. es schien da ein problem zu geben, das die veranstaltung unwillkürlich aufgelockert starten liess. ich landete bei prof. dr. nils-christian fritsche.

und schon wurde klar wie dieses format funktioniert, als nämlich die wände zur seite geschoben wurden und der raum sich zur einführung öffnete. da geht nicht der vorhang auf, es gibt eigentlich drei gleichwertige bühnen auf selber augenhöhe, die – wand hin, wand her – miteinander kommunizieren. so gab es im äther des sprechens und nicht greifbar auf dem tisch dargebotene produkte. eine schattenwirtschaft des wissens, das jedoch exklusiv ist – zumindest in diesem raum.

womit ein wunder punkt erreicht ist: natürlich kostet das alles 5 € eintritt und gewiss gibt es keine breite bevölkerung, die an diesem akademisch inspirierten diskurs teilnimmt. das ‚atelier des schwarzmarktes‘ fand in einem kreis recht vieler bekannter gesichter statt. diese lokale interessengruppe, von der man ahnen kann wie vernetzt sie untereinander ist, bedient sich dabei eines produktes der globalen theater- und performance-kunst. das ist insofern interessant, da die mitorganisierende gruppe ‚die zeitgenossen‘ 2010 eben o.g. wochenmarkt (eigentlich ’sachsenmarkt‘) in das stadtzentrum zu verlegen anregte und aktuell die rede von der privatisierung der restlichen wochenmärkte dresdens die runde macht. DAS MANIFEST DER ZEITGENOSSEN EMPFEHLE ICH ZU LESEN!

wie kommen wir an die wahren bilddiskurse heran, an die produktion gesellschaftlicher visionen?
wie weit kann / muss man den (gesichts- oder gedanken-)kreis für einen bildbestimmten diskurs auf lokaler ebene ziehen, damit man sender und empfänger einschlägiger meinungsbildung in globalen dimensionen gleichermaßen erreicht?

wie lokal war die diskussion über fassaden und visagen? geht es den ‚zeitgenossen‘ nur um architektur? ich finde es streitenswert, ob man den verhandlungsprozess über ‚identität‘ unabhängig vom ’schwarzmarkt‘ nur auf architektur beschränken kann. sollte man ihn nicht vielmehr in den gesellschaftlichen rahmen allgegenwärtigen corporate designs, raumsoziologischer forschungen sowie vermeintlicher medialer meinungsführerschaften stellen um zu klären wo heute die identitäten der zukunft ausgehandelt werden? die experten äussern sich in jedem fall fundiert dazu: so idealistisch–kunstvoll (experte herr schoper, neues buch zum thema! ‚zur identität von architektur‘) oder bildgeführt–prozesshaft (experte herr fritsche, ‚Das Paradox des Sichtbaren – …‘) oder flüssig–exzentrisch (expertin frau voss, nach dem philosophen / soziologen helmuth plessner) ist die identitätsdebatte.

plessner z.b. differenziert zwischen körper haben und körper sein. bei identität geht es um das sein, weil wir identität nicht von natur her besitzen, sondern permanent sozial aushandeln. ‚fassade‘ kommt eigenen recherchen zufolge von der lateinischen entsprechung für ‚angesicht‘. ‚visage‘ kommt von der lateinischen entsprechung für ‚gesichts(sinn)‘, ist aber eher abwertend im deutschen gebrauch (was mit kriegen gegen frankreich zu tun haben könnte?). hingegen bedeutet das englische ‚face‘ auch ‚gesicht‘. wenn die leblose fassade auf das podest der identität gehoben wird, darf die leibhaftige visage mit ihrer sozialen dimension sicher nicht durch den schlamm gezogen werden. frau voss diskutierte ja lebhaft die ausdruckspotentiale des menschlichen gesichts zwischen lachen und weinen und deren relevanz für unser bild von allem, was uns umgibt.

ich glaube, dass identität mehr als eine (begriffs)form ist und nicht nur über ihre ästhetisch-visuelle präsenz, sondern eben auch ihren sinnlichen werdegang sowie ihre soziokulturellen bezugspunkte besprochen – mehr noch: erfühlt – werden muss.

ich würde mir ein ergänzung durch gehendes erkunden im aussenraum wünschen, durch physische interaktion mit den vom schwarzmarkt gehandelten fassaden ebenso wie den echten ‚visagen‘ im urbanen raum!

hier dazu eine eigene anregung auf der suche nach bedeutungszuweisungen im urbanen alltag – „what’s my name?“

wichtig ist, dass ich die zeit im ‚atelier des schwarzmarktes‘ genossen habe, ergo der schwarzmarkt ein eindrücklicher war: die ‚aufgaben‘ des vito acconci gab hannah hurtzig vorab zum besten. (vito acconci: normale kunst: kunst an öffentlichen orten, eine lehrveranstaltung am san francisco institute, sommer 1983.) der wechselnde diskurs spielte sich dann alle ca. viertel stunde zwischen seminarhaftem erörtern eines kernaspektes zum leitthema bei geschlossenen wänden und dem offenen vortragen des jeweiligen experten-statements bei geöffneten wänden ab. fesselnd. es gab nachfragende, die besser feilschen konnten als andere, es gab experten die charmanter feilbieten konnten als andere. nach zwei stunden löste hannah hurtzig das ganze auf in den üblichen small–talk und mancher fragte sich vielleicht:

wat nu?
ich ging nicht leer aus – wie die skizzen beweisen, die zudem schon den zweiten reflektierten aufguss der inhalte bedeuten.

richtig spannend wurde es für mich dennoch erst hinterher: um die ecke, in der hoyerswerdaer strasse 36 steht seit geraumer zeit ein laden leer, der unter dem label ‚fischladen‘ von drei akteuren aus nächster nähe vergeben wird. angeblich gehören diese akteure zur ehem. galerie treibhaus, die leider kürzlich schliessen musste, weil der (schwarz)markt der eigeninteressen lukrativer ist. infos zum laden z.b. auf ‚die neustadt‘ – es gibt wohl eine facebook group. diesmal z.b. waren die nutzer die ‚kunstnomaden‘ mit einer ausstellung.

auch hier werden in einem (halb)öffentlichen diskurs identifikationen gehandelt und vielleicht ist der schwarzmarkt hier noch vielmehr schwarzmarkt als woanders. ich selbst kam aufgrund meines wissens und meiner kontakte als nachfragender (kostenlos und nicht umsonst!) in den genuss eines posters des experten in grafik alexander heitkamp. seine ‚buchstabenorte‘ (bitte nicht buchstaben(t)orte!) schafft eine besondere art der identifikation, wenn auch noch nicht einer identität. so geschehen vor ort: man steht gemeinsam vor einem seiner poster und unterhält sich, wo man denn nun wohnt – am linken zipfel des T oder doch am fuß des E? typografie und topografie haben viel miteinander zu tun! motto:

„typografie macht unsere stadt.“ (heitkamp)

und ist nicht identität etwas, das im durchleuchten der vielen schichten unseres seins in einem steten kulturellen prozess wächst?

erkenntnis: in der bewegung im raum liegt der weg zum verständnis. erst mit dem gegenüberstellen zweier anregungen verstehe ich den kontext. das dazwischen ist wichtig – raus aus der einen kiste, rein in eine andere. während das ‚atelier des schwarzmarktes‘ die kulturellen schichtungen eines identitätsstiftungsprozesses vor allem im gespann ich-haus offenlegen wollte, so erobern sich die ‚kunstnomaden‘ identitätsstiftungen in situ im spiel ich-medium, also mit raum und kulturellen sparten: z.b. der grafik, aber auch der kunst und der mode. die ausstellung war kurzlebig, das ist der wunde punkt: kunstnomaden ziehen nunmal weiter und hinterlassen gesprochene und verbildlichte – über unsere synapsen im kopf und unsere gespräche mit anderen fortgetragene – schnittstellen für identifikation. der schwarzmarkt möchte prozesse verstetigen, indem er sich nicht minder des darüber–redens bedient. die lokalen akteure müssen dies nun vor ort multiplizieren, hannah hurtzig lieferte den prägnanten umraum dazu.

der schwarzmarkt des wissens und nichtwissens ist eigentlich überall und jeden tag. er treibt uns selbstredend an. und wenn es einem zuviel wird?

dann geht man auf den wochenmarkt und vergleicht feilgebotene werte in farbe und zum anfassen!

schnipseljagd – moreau, mein held

für sylvester 2009 / 10 arbeitete ich mit nadja eine kleine analoge schnipseljagd für die eingeladenen freunde aus. ein test.

schnipsel für die jagd

diese führte von meinem wohnsitz durch den campus der tu dresden richtung bismarck-turm auf der dresdner südhöhe. ich hatte alle um ‚tobehosen‘ gebeten, da z.t. durchaus körperlicher einsatz von nöten war.

wie auf dem bild zu sehen, waren nur wenige dinge nötig für die umsetzung:

  • handgeschnittene papierkarten für die lyrisch formulierten ortsgesuche
  • eine übersicht über alle orte auf der route
  • handgekaufte folienhüllen zum verstauen der karten
  • handgekauftes klebeband zum anbringen der gesuche an ihren verstecken – notfalls pins
  • eine filmdose für ein besonderes versteck

zusätzlich (nicht im bild):

  • ein stück schnur und eine geschütztes windlicht für den ersten ort.

die karten hatten nummern. wir hatten die texte vorbereitet, damit nadja sie dann in die oben sichtbare schönschrift bringen konnte. hier die abfolge, die gleichwegs die route erklärt:

M1 – HOFTOR > SCHACHT (an hoftüre gepinnt) – geht ihr nicht zur straße, sondern zum hof hinaus, kommt ihr hoch hinaus. doch achtung! ihr wißt ja: wer hoch steigt, kann tief fallen! so fallet nicht gleich in das erstbeste tiefe loch links von euch; geht lieber weiter die fünf stufen hinauf und steigt über die kleine mauer hinweg aufwärts. doch gebt wohl acht, es kommt ein tief leuchtender „schacht“ …

O2 – SCHACHT > TEICH (in laterne an seil in schacht) – steigt nun wieder auf aus dem dunklen verließ um das „filzige hornkraut“ dort zu finden, wo die „kraniche“ sich zur balz niedergelassen haben …

R3 – TEICH > OHNE UNS > WÄNDE (hinter filzkraut schild geklebt) – verlaßt daraufhin den tümpel der seeligkeit ohne euch am „ohne uns“ zu lange aufzuhalten und folgt dem nahegelegenen pfad aus beton bis zum „siedpunkt“. erhitzt euch nicht, bewahrt kühlen kopf und steigt dort ein paar stufen hinab. ihr findet die schon etwas löchrigen „magischen vier wände“ aus stahl …

E4 – WÄNDE > BRIEFKÄSTEN (hinter einer schiebewand durchscheinend) – die zeitläufte führen euch anschließend entlang ausgedehnter „lavendel-felder“ zum täglichen glück des postboten etwas weiter oben, der jedoch einen unter ihnen normalerweise schmäht. ein guter grund genauer nachzusehen …

A5 – BRIEFKÄSTEN > UHR > SLUB (im briefkasten versteckt – innerhalb!) – behaltet stets die „zeit“ im auge! es müßte der stundenzeiger bereits auf die elf zugehen, wenn ihr daselbst mutig – mit wachen augen und ohren auf den da fahrenden verkehr – auf das „rote fahnenmonument“ zugeht. drüben angekommen wird von euch der gipfel der „dreifahnigkeit“ erklommen. die vier buchstaben haben nichts zu bedeuten. schaut besser hinter das „goldene buch“! ihr müßt eine reminiszenz an die magischen vier wände finden …

U6 – SLUB > GITTER (hinter schild geklebt) – laßt euch sogleich wieder herab. fallt aber nicht auf eure vier buchstaben! fallt meinetwegen auf. tretet einfach ein in den vorhof des allmächtigen wissens, von wo ihr auf zwei etwas im dunkel verborgenen stiegen hinauf auf das blühende dach gesammelter schrift gelangt. dort, nahe der mitte, könnt ihr eine „geheimnisvolle dose“ an der südwestecke des nordöstliche der symmetrieachse gelegenen von acht „überdimensionalen fußabtretern“ im engsten umkreis um die heilige höhle der wissensaufnahme finden …

D7 – GITTER > WENDELTREPPE (in dose zwischen sprossen gesteckt) – überquert von hier den abgründigen garten der literatur in richtung einer „elbsandsteinernen abgelatschten treppe“, an deren seite einige „blaue und grüne abfallgroßbehälter“ situiert sind. folgt der treppe aufwärts zu einer zweiten, unterhalb welcher euch das „rückgrat“ einen eingehenderen blick wert sein sollte …

E8 – WENDELTREPPE > WASSERHAHN (unter treppe gepinnt/geklebt) – in den farben „gelb, blau und rot“ erstreckt sich oberhalb der treppe weiter links hinter den roten runden beeren am fuße eines seichten wiesenhügels das „heim der jungen wißbegierigen“. an dessen rückseite die „quelle des wissens“ aus der wand hervorsticht und auf eure inspektion wartet …

N9 – WASSERHAHN > HÄUSCHEN (an hahn gehängt) – ihr stapft von da aus festen schrittes bergauf der diagonale des wiesengrundstückes folgend auf den fernerab gelegenen saum des waldes zu. gebt acht: es geht steil hinauf! just dahinter findet ihr mit etwas umblick und katzenaugen ein „häuschen“ – bleibt schön im „rahmen“ des guten türgeschmacks und „hans guck-in-die-luft“ weist euch den weiteren weg …

K10 – HÄUSCHEN > STUMPF (unter zinkblech über türe gesteckt) – wendet euch wieder ab! wandert sogleich weiter hinan an der „bank“ vorbei auf das obere plateau, wo ihr einen hohlen „baumstumpf“ inspizieren solltet …

M11 – STUMPF > BAUMHAIN (im stumpf versteckt) – orientiert euch von da aus zu einem vielstämmigen offenen „baumhain“. seit keine „flaschen“ und greift beherzt hinein, jemand hat eine „post“ dazwischen hinterlassen …

A12 – BAUMHAIN > VIDEO (an/in flaschenpost zwischen bäumen verborgen) – entlang des „maschendrahtzauns“ führt euch ein schmaler weg an ein „tor“. vorsicht! „videoüberwachte anlage“. dahinter steckt aber – wie so oft – mehr …

L13 – VIDEO > MYTHOS (hinter schild geklebt/geklemmt) – also schnell weg! zur straße, von wo euch höher am berg gelegen „überreste“ eines längst wieder auferstandenen dresdner mythos ins auge fallen werden. an dem einen „verbotenen“ teil haltet inne und „denkt mal nach“: eventuell müßte einer von euch sich zu diesem objekt hindurchwinden …

MOREAUDENKMAL (unter dem bauteil versteckt) – ihr habt es fast geschafft! legt einfach alle buchstaben in der reihenfolge der orte zusammen. dies nun ist der finale ort des jahres … laßt es richtig krachen: im helm des helden findet ihr reichlich munition!

PROSIT NEUJAHR 2010!

und siehe: punkt mitternacht waren die freunde tatsächlich auf dem berg angekommen um feuerwerk und den minutengenauen einbruch des winters zu erleben.

der teufelsberg

in berlin unweit des olympiastadions befindet sich der ‚teufelsberg‚.

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ein besuch dort war neuerlich inspiriert vom profilbild einer freundin auf skype, das eines der sog. ‚radome‚ zeigt. die eindrücklichen schutzkuppeln schützten ehedem abhörantennen. der berg liegt in einem heutigen freizeitareal und ist ziel einer überraschend grossen menge von ‚urban explorers‚. die auffällige – und technisch z.t. aufwendige – fotografische inszenierung des ortes durch die ‚bildtouristen‘ brachte mich der frage nahe:

was haben besuch und bilder für eine bedeutung für den ort und die menschen?

zunächst einmal ging es mir wie vielen: ich hatte mir von der freundin erzählen lassen und nach mehrmaligen ‚drüber stolpern‘ fand sich die passende gelegenheit während eines berlin-aufenthalts. die suche nach einem ‚loch im zaun‘ war hier gar nicht nötig, wiewohl andere gerade darin ihr abenteuer zu finden suchten. im tor zum gelände fehlte eine strebe, der wachdienst gab sich gelassen und expedierte lediglich stichprobenhaft leute von den gedäuden. den rest liest man auf wikipedia und den verknüpften oder selbst gefunden artikeln, videos usw.

der ort bietet bei eingehender auseinandersetzung jedoch zahlreiche weitere schichten des bewußtseins über ihn. nachrichtendienste, trümmerhalden, freizeit, bauprojekte, erinnerungskultur, exploration, … ich konkretisiere die frage kulturtechnisch:

wie hoch ist die identifikation mit diesem ort? warum? was drücken die fotografien der besucher davon aus?

ich spreche hier erstmal erfahrungsgemäß: hinter der identifikation mit etwas liegen emotionale ebenso wie rationale motivationen. bei diesem ort kann ich sagen, dass für mich insbesondere die eher intuitiv-sinnlichen beweggründe eines ‚mysteriums‘ und einer ästhetischen prägnanz zu buche schlugen um dort hinzufahren; erst jetzt vermelde ich rationale motivationen bei der auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen hintergründen des ortes.

orte wie diesen, das erfährt man bei recherchen, gibt es überall auf der welt. würde man bei google-maps alle radome visuell dechiffrieren, erhielte man eine eindrucksvolle topografie des grossen lauschangriffs. die besondere ästhetik dieses ortes ist die eines (hier) westlichen abhörnetzes namens ‚echelon‚, mit dem geheimdienstliche informationsaufgaben erledigt werden. am teufelsberg: zuerst überwachung des luftkorridors nach west-berlin, jedoch später datenspionage gegenüber dem ostblock durch die usa im ‚kalten krieg‚, heute verödet.

wie weit fortgeschritten diese technologie war und wie ungeheuer ähnlich der diskurs darüber den aktuellen debatten über facebook und den milliardenschweren informationsmarkt dahinter ist, kann man auf einschlägigen web- und video-plattformen nachvollziehen. hier sieht man wieviele menschen in diesen strukturen ihr arbeitsleben binden und wieviel volkswirtschaftliches kapital für das ‚übereinander-spionieren‘ gebunden wird.

hinter spionage liegen immer untiefen des bewussten. menschen sind neugierig. wenn es um macht und geld geht, stellt spionage das vermeintlich probate mittel zum erringen von geopolitischen vorteilen dar. der sonntägliche spaziergang vor ort wird mitunter zur (gegen)spionage. unsere eigenen ’spionage-technologien‘ und diejenigen des militärs stehen in enger relation zueinander, bedingen sich. auf der ebene der information erkunden wir menschen sinnlich ein räumliches phänomen, das etwas ausstrahlt, das wir aber nicht fassen können. wir versuchen ‚der sache näher zu kommen‘. fotografien als informationsträger bieten aufbereitet in weltweiten sozialen medien die chance zur identifikation und wissenvermittlung. der ort trägt lediglich die bedeutungsfolie dafür.

real in berlin nämlich ist dieser ort zerlegt in seine bestandteile. (fast) alles wertvolle ist verschwunden. vandalismus hat das meiste in stücke geschlagen, der rohbau steht noch – und hier zählt wieder die zäsur des öffentlichen interesses: nachdem ein film den ort bekannt machte (siehe wiki) stieg der strom der besucher offenbar erheblich. real-medial: es gab vor ort keine ruhige minute. (re)produziert wird nur noch das bekannte bild, identifikation als wiederkehr des gleichen.

oder erzählt der ort doch eine geschichte? was ist der genius loci?

der ausblick von da oben ist von überwältigender schönheit, sowohl gen sonnenuntergang über den ‚grunewald‚, als auch gen stadt berlin. in richtung innenstadt wird ein städtebauliches phänomen berlin als metropole deutlich: über einem teppich aus steinernem berlin gemäß ‚stimman-plan‚ erheben sich vereinzelte hochhäuser markant im abendlicht, anhand derer und weiterer landmarken bestimmte orte in der stadt leicht auszumachen sind. in jedem fall ist es auch der ästhetische reiz, der menschen hierher bringt. was sie dann entdecken, ist ihrem bildungsstreben überlassen.

liest und sieht man weiter, erfährt man, dass hier vom resort bis zur luxuswohnung schon so ziemlich alles versucht hat, kapital aus dem ort und seinem ‚genius‚ zu schlagen. am eindrucksvollsten ist die verbindung zwischen der damals bereits begonnenen wehrtechnischen fakultät der nazis für ihr ‚germania‚ und dem von david lynch geförderten projekt einer ‚vedischen friedensuniversität‘. wirklich arbeiten tut am ort nur eine unsichtbarer akteur, dessen spuren man überall findet, wenn man nicht nur fotografiert, sondern sich treiben läßt und hinsieht, die informationen sammelt, ruhen lässt und später beim reflektieren einzeldaten zu sequenzen zusammenwachsen lässt.

ich frage mich anhand des zumindest unvorsichtigen umgangs einzelner koryphäen oder gruppen mit einer so breiten identifikation durch die bevölkerung stets, woher einzelpersonen so wenig gespür für ort und geschichte nehmen? auch hier profilieren sich menschen vor o.g. bedeutungsfolie mit ‚ihren visionen‘, wo jedoch ist die gemeinsame vision aller?

am teufelsberg spricht die situation für sich: spaziergänger, location scouts, explorer und wachleute geben sich die klinke in die hand. wer das loch im zaun sucht, wird es finden. wer offene türen einrennen will, findet auch die. der wachmann ist hier kein feindbild. und vielleicht findet er direkten kontakt zu einer globalen ‚community‚, die sich sonntag abend im world wide web wiedertrifft.

zum teufel aber auch!

bremen

die stadt bremen kenne ich seit einiger zeit.

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gute bekannte meiner mutter wohnen da, ein zweig unserer familie befindet sich dort, ein bekannter vom basketball in dresden kam aus bremen, die ‚bremer stadtmusikanten‘ sind jedem kind bekannt und ich entwarf 2007 für die sogenannte ‚weserspitze‚ ein kulturhaus als diplomarbeit meines studiums.

aus flüchtigen besuchen noch in den neunziger jahren und anfang des 21. jahrhunderts in familie, wurden seit dem diplom und der selbständigen arbeit intensivere auseinandersetzungen. zu den bremer stadtmusikanten fand ich auf dem letzen besuch mitte januar eine interessante hintergrundinformation, besser eine neuinterpretation dieses kulturellen erbes der stadt:

„Natürlich nicht zu vergessen Maurizio Cattelans herausragende und gleichermaßen skurrile Fassung der Bremer Stadtmusikanten, Love Saves Life, 1995 und Love Lasts Forever,1999, welche hier als lebensecht ausgestopfte Tierpräparate neben ihrer komplett skelettierten Version hochgestapelt vor uns stehen. Hintersinniger Kommentar, augenzwinkernder Bezug auch auf die Hansestadt Bremen, in der die Weserburg und die Kunsthalle zu Hause sind.“ – Kunstmuseum ‚Weserburg‚ zur aktuellen Ausstellung „Noble Gäste–Meisterwerke der Kunsthalle Bremen“ (die soeben umgebaut & erweitert wird)

dass die weserburg eine neuinterpreation der ehemaligen ‚kaffeeinsel‘ inmitten der weser ist mag ertaunen. Bremen ging mit Jacobs, Eduscho, Tschibo, Darboven u.v.a. in die wirtschaftsgeschichte auch als ‚kaffeestadt‘ ein – stellvertretend hier die Rösterei August Münchhausen. ebenso aufschlussreich könnte die tatsache sein, dass diese eigentliche halbinsel, festgehalten von zwei brücken zwischen alt- und neustadt, mit ihrem namen ‚teerhof‚ noch immer auf die viel frühere nutzung als ort zum teeren der hölzernen schiffe diente.

bremen ist viel mehr!

der fussballverein ‚werder bremen‘ verdankt seinen namen dem hinterland besagter halbinsel mit eben dem namen ‚werder‚. das stadion liegt direkt an der weser. ich habe mir zu den leichtathletikmeisterschaften 1996 dort mit anderen talenten die kehle heiser gebrüllt um den zuschauern eine laola aus der hüfte zu locken.

mich hat schon der kontext des entwurfs der weserspitze gefesselt: die ‚überseestadt‚ – ein stadtentwicklungs- und konversionsprojekt, das inhaltliche ähnlichkeiten z.b. mit der hamburger ‚hafencity‚ hat. seinen namen hat das areal von dem gleichnamigen hafenbecken, das man zu zwecken der folgenutzung seit den neunziger jahren zugeschüttet hat. interessanter ist jedoch das beobachten und antizipierbare gestalten kultureller prozesse in einem solchen areal. die weitläufigkeit der hafenanlagen, ihre ästhetisch-sinnliche imposanz, die abwechselnden gerüche!, dennoch der stets präsente masstab mensch, ohne den auch heute noch hafen und handel undenkbar wären, nachzuforschen im ‚hafenmuseum‚, das überdies mit einer hervorragenden kleinen bücherei über hafen, meer, plattdeutsch und handel aufwartet. in einer wunderbaren publikation von stefan bargstedt z.b. kann der geneigte sprachliebhaber alles über ‚plattsnaker‘ und die herkunft dieser norddeutschen sprache (ja!) erfahren: platt! wo und wie plattdeutsch ist. schuenemann c.e.
oktober 2008, ISBN: 3796119077. das bemerkenswerte daran: die abschlussarbeit des autors im fach design entstand in bremen und ist in ihrer art der aufbereitung von informationen auf jeder seite eine freude. ein A–Z von hafenarbeiterbegriffen, die sprachlich selten weit vom platt weg sind, führt durch die ausstellung und zeigt eindrücklich die bestehende signifikanz von sprache als identitäts- wie auch funktionsmedium.

mit dem handel ist bremen ‚gross‘ geworden. daraus schöpft die stadt auch heute noch ihre eigenartige – hamburg sicher ähnliche – gediegenheit. die mag nicht jeder. wer die welt kennt (und mit ihr handelt), muss sich nicht weit aus dem fenster lehnen. da dies seine schattenseiten hat und hatte, brachte mein gastgeber es auf den kulturellen punkt:

„bremen ging es immer dann gut, wenn es europa schlecht ging“

später mehr dazu. das stimmt nicht ganz: es ging bremen auch gut als es den amerikanern gut ging. nämlich nach dem 2.wk. so wie heute die eu-plaketten an jeder schule und jedem bauschild prangen, waren es damals die marshallplan-schilder „zur stärkung der freien welt“. die kommune hat nicht mehr und nicht weniger geld als andere – ist also auch heute mit der überseestadt auf die eu angewiesen, doch die stadt hat wohlhabende kaufleute, reeder usw. stets beheimatet. die haben der stadt als mäzene und stifter kulturelle und wirtschaftliche impulse gegeben. wo gibt es so ein rathaus?

einer der anschaulichsten impulse ist das ‚focke museum‚. noch kein museum hat mir anhand der blossen präsenz authentischer gegenstände eine stadtgeschichte so nahe und fühlbar gebracht! wie vital das museum arbeitet, illustriert das erst 2009 aus der kantine der baumwollkämmerei (BMK?) in das museum gelangte gemälde des fabrikgeländes. das ganze sog. ‚haus mittelsbühren‘ wurde aus dem gleichnamigen dorf auf das museumsgelände verbracht, als es galt des wirtschaftswunders mit der neueinrichtung der ‚klöckner-hütte‚ auf weiten flächen im bremer norden zu huldigen. noch beeindruckender ist jedoch das ’schaumagazin‘, in dem – abermals nach dem alphabet A–Z – die nicht regulär ausgestellten gegenstände in raumhohen glasvitrinen und auf einzelpodesten sichtbar gelagert werden. der besucher kann anhand laufender vierstelliger nummern an lose verstreuten digitalen terminals hintergrundinformationen zu den stücken einholen. zwei etagen, plus ein kindermuseum im nebenhaus. überhaupt ist das museum anschaulich aufgeteilt in verschiedene, z.t. authentische gebäude.

wo kann so bewußt und begeisternd kulturepochen nachvollziehen wie im focke-musem bremen?

eine der einträglichsten einnahmequellen im handel waren damals die auswandererschiffe, mit deren frequentem pendeln über den großen teich nicht nur millionen die ganz unterschiedlich motivierte flucht aus europa gelang, sondern nunmal auch das neue land amerika besiedelt wurde. die überwiegende mehrheit der (us) amerikaner sieht sich noch heute in deutschen herkunftslinien. namen wie bremen, dresden, hannover tauchen unzählige male als kleinstädtische klone in den usa aus. dennoch scheiterte deutsch im votum als amtssprache denkbar knapp am englischen (angeblich mit 2 stimmen). zu erforschen ist dies alles in dem bemerkenswerten, wenn auch nicht so überschwänglich wie vielerorts angekündigt begeisternden ‚deutschen auswandererhaus‘ in bremerhaven. der grosse erfolg für den besucher ist eigentlich das üben von recherchemethoden im museumsraum anhand des als eintrittskarte fungierenden ‚boarding pass‘ einer ausgewählten historischen auswandererperson und dann das nachforschen eigener familienlinien im ‚forum‚ und den us-amerikanischen telefonbüchern – wenn er denn vorbereitet ist und nicht zu spät kommt.

für mich ergab sich eine eigenartige entdeckung, indem es in südamerika eine ‚colonia liebig‘ gab.

„auf’s weltmeer!“ – nun zu den schattenseiten.

wie hoch muss der leidensdruck von millionen menschen sein, dass sie sich zu hunderten im 19.jahrhundert in muffigen zwischendecks zusammenferchten um auszuwandern? und wie hoch muss der hochmut derer sein, die sich zu keiner zeit dafür schämten diese  zustände auszunutzen? das weltmeer hat einiges getragen.

warum zum beispiel braucht bremen nach dem krieg eine stahlhütte? natürlich werden schiffe gebaut. auch autos. bremen ist allerdings auch ein rüstungsstandort. an rüstungsnahem produzieren und handeln verdienen verschiedene firmen. das ‚bremer friedensforum‚ setzt sich mit diesem kulturellen erbe vor dem hintergrund fortlaufender militarisierung in der bundesaussenpolitik auseinander. heute baut ‚beluga‚ neben einem schicken neubau auf dem teerhof spezialschiffe u.a. für off-shore windanlagen. dabei ist mit den anlagen an sich angeblich schon kaum noch das geld zu machen, sondern mit ihrer besonders intensiven wartung. ein gefundenes fressen für die dienstleistungsgesellschaft und ein erneuter rückschlag für die ökologie, die irgendwo in auftragnehmerhierarchien verloren geht.

das gleich neben dem auswandererhaus liegende ‚klimahaus‚ konnte ich leider nicht von innen sehen, so interessant es sein soll (vier jahreszeiten erlebbar gemacht). wenn dann allerdings direkt im anschluss eine toskanisch anmutende shoppingmall ihre runde macht und auch das hafenhochhaus á la ‚burj al arab‚ den eindruck eines im ganzen entwickelten spekulationsobjektes verstärkt, kommen zweifel an der für alle greifbaren nachhaltigkeit auf.

in der innenstadt gibt es eigenartige gelbe schilder, auf denen z.b. schusswaffen zu nächtlichen zeiten verboten werden, die naive frage von freunden war:

„und sind die waffen dann tagsüber erlaubt?“

leben und leben lassen. eine handelsstadt hat sehr viel charme, aber auch sehr viel abgründe. aber wo ist das nicht so?